Frankreichs Linke ist wieder da

Die französische Regierung will die 35-Stunden-Woche weiter aushöhlen. Dagegen demonstrieren im ganzen Land eine halbe Million Menschen. Aber es geht auch um das Referendum zur EU-Verfassung

„Entlassen, gerupft, kahl – Frankreich von unten“ steht auf einem Plastikhuhn

AUS PARIS DOROTHEA HAHN

„Höhere Löhne – statt längerer Arbeitszeiten!“ Die Forderung schallte am Samstag durch ganz Frankreich. In 118 Orten demonstrierten mindestens eine halbe Million Menschen. Alle großen Gewerkschaften und sämtliche linken Parteien hatten sie auf die Straße gerufen. Sie wollen mit der Mobilisierung verhindern, dass die rechte Regierung morgen in der Nationalversammlung die 35-Stunden-Woche noch weiter aushöhlt. Viele GewerkschafterInnen stellten am Abend überrascht fest, dass sie die größte soziale Mobilisierung seit Mitte der 90er-Jahre geschafft hatten. Damals brachte eine andere soziale Bewegung zuerst die Rentenreform und später die Regierung Juppé zu Fall.

Die Forderung nach dem Festhalten an der Ende der 90er-Jahre von der rot-rosa-grünen Regierung eingeführten 35-Stunden-Woche stand auch bei der zentralen Demonstration in Paris auf dem Transparent, das die SpitzengewerkschafterInnen vor sich hertrugen. Weiter hinten in dem großen Korso von 100.000 Menschen ging sie ein wenig unter. An ihre Stelle trat allgemeines Unwohlsein gegenüber dem Kahlschlag, der sämtliche Bereiche der Sozial- und Bildungspolitik sowie die Mittel für Schulen und Krankenhäuser betrifft.

Eine junge Frau in den Reihen der Gewerkschaft CGT, die die größten Kontingente stellte, trägt ein Plastikhuhn mit sich herum. „Entlassen, gerupft, kahl – der Zustand Frankreichs von unten“ steht auf dem Huhn. „Wir kämpfen für das Frankreich von unten“, hatte Premierminister Jean-Pierre Raffarin bei seinem Amtsantritt im Frühsommer 2002 angekündigt.

Dennoch kann die oppositionelle PS den Erfolg der Demonstrationen vom Samstag nicht nur für sich nutzen. In Paris und an vielen anderen Orten wurden ihre Spitzen daran gehindert, in der ersten Reihe dabei zu sein. Einige Schwergewichte der Partei versammelten sich in Lille, wo die Sozialdemokratin Martine Aubry, die das 35-Stunden-Gesetz einführte, heute Bürgermeisterin ist. Ihr Gesetzestext war an der betrieblichen Basis umstritten. Unter anderem, weil Aubry die Arbeitszeit flexibilisiert hat – sie führte eine Jahresarbeitszeitregelung ein – und weil seither die Löhne, vor allem die Niedriglöhne, eingefroren sind. Statt das Aubry-Gesetz zu verteidigen, zogen tausende am Samstag mit einem generellen „Non“ über die Straße. Ausformuliert bedeutet es: „Nein zu diesem Europa“. Es wird von Mitgliedern aller Gewerkschaften und sämtlicher linken Parteien getragen. Und es ist ein Signal für ein „Nein“ beim Referendum über die EU-Verfassung, das im Frühsommer stattfinden soll.

Die Europafrage spaltet zahlreiche linke Organisationen. Nachdem sich in der PS knapp 60 Prozent für ein „Ja“ zum Referendum ausgesprochen hatten, stimmte Ende vergangener Woche das Parlament der CGT, der größten Gewerkschaft, mit 82 Prozent für ein „Non“. Die Gewerkschaftsführung der CGT wurde damit von ihrer eigenen Basis ins Abseits gestimmt.

Anders als bei vorausgegangenen Demonstrationen waren am Samstag nicht nur die großen Bereiche der öffentlichen Dienste mobilisiert, sondern auch große Gruppen aus der Privatwirtschaft. In Marseille beteiligten sich in vorderster Linie die Beschäftigten von Nestlé, das Massenentlassungen in der Region und eine Verlagerung von Betriebsstätten in Billiglohnländer beabsichtigt.

Die Gewerkschaften müssen nun überlegen, wie sie die nächsten Schritte der Protestbewegung gestalten. Die rechte Regierung hingegen hat schon reagiert. Sprecher Jean-François Copé erklärte gestern im Radio: „Wir geben nicht nach.“