Wider die „faktische Unbewohnbarkeit“

SOZIALRECHT Die Bagis bezieht vor Gericht eine neue Niederlage: Droht Strom- oder Wassersperre, muss sie ein Darlehen gewähren

Die Stromsperre ist eine Notlage, die der Wohnungslosigkeit nahe kommt, sagt das Sozialgericht

Bei drohender Sperrung der Energie- oder Wasserzufuhr muss die Bagis Stromschulden auch bei Haushalten ohne Kindern als Darlehen übernehmen. Das hat das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen entschieden – und damit eine Beschwerde der Bagis zurück gewiesen.

Im konkreten Fall ging es um eine alleinstehende Frau aus Bremen-Nord, an die die SWB eine Nachforderung von 614,74 Euro hatte. Eine Ratenzahlung lehnte der Energieversorger ab. Die Bagis wiederum verweigerte ihrerseits ein Darlehen über insgesamt 945,06 Euro. Begründung: Für Stromschulden könne grundsätzlich kein Darlehen gewährt werden. Der Frau – berichtet der Bremer Erwerbslosenverband (BEV) – wurde von der Bagis nahe gelegt, ihre Lebensmittel von der Tafel zu beziehen und von dem gesparten Geld die Stromrechnung zu begleichen. Der BEV findet das „zynisch“ und „menschenverachtend“.

Und überdies war es auch unrechtmäßig, entschied das Sozialgericht Bremen in erster Instanz (Aktenzeichen S 23 AS 547/09 ER) per einstweiliger Anordnung. Eine Stromsperre stelle eine der Wohnungslosigkeit nahe kommende Notlage dar.

Gegen diesen Beschluss lehnte die Bagis Widerspruch vor dem Landessozialgericht Bremen-Niedersachsen in Celle ein – der jetzt jedoch zurückgewiesen wurde (Aktenzeichen L 7 AS 546/09 B ER). Die Stromsperre ist eine Notlage, entschieden auch die Celler Richter. In diesem Zusammenhang haben sie erneut geurteilt, „dass bei einer (drohenden) Sperrung der Energie- oder Wasserzufuhr grundsätzlich von einer faktischen Unbewohnbarkeit der Wohnung auszugehen ist“.

Nach Angaben des BEV erhalten gerade Alleinstehende und Paare ohne Kinder bei Stromschulden in der Regel kein Darlehen von der Bagis. Laut einer Verwaltungsanweisung kommt dies nur in Betracht, „soweit vor allem Familien mit Kindern die Einstellung der Lieferung droht“.

Der vorliegende Fall ist nicht die erste Niederlage der Bagis in jüngster Zeit, ihren Umgang mit Hartz IV-EmpfängerInnen betreffend: Entgegen der bisherigen Praxis hat das Sozialgericht Bremen unlängst die öffentliche Hand verpflichtet, auch dann die Mietkaution für ALG II-EmpfängerInnen zu übernehmen, wenn sie bei kommunalen Wohnungsbaugesellschaften einziehen. Eine zuvor gültige Verwaltungsanweisung schloss das prinzipiell aus – weil nach Ansicht der Sozialbehörden genügend kautionsfreier Wohnraum zur Verfügung stand. Das Sozialgericht sah das anders: „Es ist kein sachlicher Grund ersichtlich, weshalb Mieter bei Wohnungsbaugesellschaften generell keine Mietkautionen erhalten sollten.“

Bereits Anfang des Jahres urteilten Gerichte, Bremen habe in der Vergangenheit Hartz IV-EmpfängerInnen mitunter zu wenig Wohngeld gezahlt. Das war der Tenor eines Urteils des Oberverwaltungsgerichts, und so hatte es auch das Sozialgericht verkündet. Jan Zier