TANZEN IN DER U-BAHN
: Hast du Reggaeton?

U 8, Schönleinstraße, jetzt wird es karibisch

Nein, Tanzen mochte ich noch nie. Hannah sagt, ich sei ein Tanzmuffel, zum Beispiel gestern, Geburtstagsfeier, ein Jubiläum auf einer Schnapszahl – mit viel Wein und ohne Wodka. Und gegen halb zwei legt ein Aushilfs-DJ Salsa auf. Drei mutige Pärchen schieben sich steif über ein handgewachstes Parkett zu Zimmerlautstärke. Schöneberg.

Nein, ich habe genug vom Tanzen. Gestern rockten zwei Jungs durchs Abteil der U 8. Der eine groß, der andere klein, beide dieselben Lederschuhe, Westen, Hosen, Hemden, Ketten. Den Pony gegelt, die Schuhspitzen beige nach oben gebogen, schnippen sie mit ihren Freestylefingern im Takt der Handymusik. Ist das Urdu? Hindi? Kurdistan? Ich weiß nicht. Der Rest des Abteils zieht es vor, bei erstbester Gelegenheit, Heinrich-Heine-Straße, ins nächste Abteil zu wechseln. Ich bleibe und ignoriere MTV-reif wackelnde Pos vor meiner Nase. Ich fühle mich für eine Sekunde wie der Borat-Darsteller.

Moritzplatz, Kottbusser Damm, Schönleinstraße, es wird weitergetanzt. Die Ohren des Kleinen, lasergeschrumpft, stehen trotzdem ab, die Brille goldumrandet, die Gläser getönt. „Oh-Du-Du-Du-Du-Du“, tönt es aus dem Außenlautsprecher. „Salam, Salam“, summt der Größere der beiden. Auf der Sitzbank liegen die Accessoires, ein kleiner Vanille-Shake, die Lederjacke, eifarben, Ton in Ton abgestimmt zur Feinstrickweste, ockergelb. Und plötzlich ein Anruf – ein wahrhaft avantgardistischer Klingelton, der zwischen Wagner und Rihanna oszilliert. Die Musik der beiden bricht ab. „Wir sind in zehn Minuten Boddinstraße, alles mit der Ruhe“, krächzt der Größere und legt auf. Da sagt der kleinere: „Alter, hast du auch Reggaeton?“

Die Musik wird karibisch, Pailletten, Posen und Puderdosen werden geshaked, die beiden katapultieren sich direkt in eine neue Sendung auf dem Privatkanal: BeVauGe sucht das Supertalent! TIMO BERGER