„Was wollen wir da, und können wir das?“

BUNDESWEHREINSÄTZE Die deutsche Außenpolitik ist von Illusionen bestimmt, sagt der Politologe Eric Chauvistré. Er will eine entmoralisierende Diskussion über völlig überschätzte Militärinterventionen

■ ist promovierter Politikwissenschaftler und lebt als freier Autor in Berlin. Er hat unter anderem für die taz, das ZDF und Reuters gearbeitet.

■ „Wir Gutkrieger. Warum die Bundeswehr im Ausland scheitern wird“. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2009, 188 Seiten, 17,90 Euro Foto: Wolfgang Borrs

taz: Herr Chauvistré, welchen Illusionen sitzt die deutsche Außen- und Verteidigungspolitik auf?

Eric Chauvistré: Es gibt erstens eine große Unkenntnis dessen, was die Bundeswehr in aller Welt überhaupt macht. Zweitens wird das, was die Bundeswehr tatsächlich kann, dramatisch überschätzt – auch von den Einsatzgegnern. Da gibt man sich gerne Illusionen hin.

Wie das?

Der Fokus der deutschen Debatte liegt stets auf völker- und staatsrechtlichen und moralischen Fragen. Das ist eine zwar notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für eine ehrliche Diskussion. Denn unhinterfragt vorausgesetzt wird dabei immer, dass die Bundeswehr leisten kann, was ihr aufgetragen wird.

Die Gegner des Afghanistan-Einsatzes sagen doch genau das: Der Einsatz scheitert.

Vorrangig werden aber die Motive infrage gestellt. Und wer bei jedem Bundeswehreinsatz von deutschem Großmachtwahn oder wirtschaftlichen Interessen schwadroniert, der unterstellt ja auch, dass sich diese vermeintlichen Vorgaben mit militärischen Mitteln umsetzen lassen. Das trägt letztlich genauso zur Mystifikation militärischer Macht bei.

Sie behaupten, die Bundeswehr sei gescheitert. Woran wollen Sie das messen?

Man sollte Einsätze an den Zielen messen, die zum Zeitpunkt der Abstimmung darüber formuliert wurden. In Afghanistan gilt inzwischen schon als Erfolg, wenn wenig Raketen auf das Bundeswehrlager fliegen. Von Demokratie, Menschen-, gar Frauenrechten ist mittlerweile wenig die Rede. Die Ziele werden dem angepasst, was noch als leistbar erscheint.

Ist das schlecht – oder ein Lernerfolg?

Es zeigt eben, wie groß der Abstand zwischen moralischen Ansprüchen und der militärischen Realität ist. Der Einsatz im Kongo 2006 ist ein gutes Beispiel dafür, wie es aussieht, wenn die Bundeswehr gemäß ihren Fähigkeiten eingesetzt wird: Ihr Anteil bei der Absicherung der Wahlen war im Wesentlichen, den Weg zum Flughafen in Kinshasa freizuhalten, um sich im Zweifel selbst in Sicherheit bringen zu können – nicht viel mehr als erfolgreicher militärischer Eigenschutz.

Gibt es denn ein Zurück? Kann man die Illusionen sein lassen und sagen, bevor wir uns lächerlich machen, bleiben wir eben daheim?

Ich enthalte mich im Buch ganz bewusst der Frage, Truppen rein oder raus. Das ist ja genau das Problem der militärpolitischen Debatte in Deutschland. Wenn überhaupt mal eine stattfindet, wird immer nur ad hoc über diesen Punkt gestritten. Es muss aber auch Momente geben, in denen man darüber nachdenkt: Was wollen wir da, und können wir das?

Sollte denn die Konsequenz sein, keine moralischen Maßstäbe an Auslandseinsätze zu formulieren? Die Regierung hätte dann freie Hand …

Ich plädiere für eine Umkehr der Beweislast: Nicht die Gegner eines Einsatzes müssen belegen, dass dieser seine Ziele nicht erreichen wird. Es ist die Aufgabe der Befürworter, zu belegen, dass er funktioniert. Dabei muss klar gesagt werden, in welchem Zeitraum dies erfolgen wird und zu welchen materiellen und gesellschaftlichen Kosten.

INTERVIEW:
ULRIKE WINKELMANN