Die Unbeirrbare

MODE Pia Fischer kreiert Kleider aus Material, das sonst wertlos wäre – und konterkariert den Markt

„Ich will nicht das machen, was andere machen. Massenware gibt es genug“

PIA FISCHER, MODEDESIGNERIN

Am Abend, wenn andere Läden längst geschlossen sind, sitzt Pia Fischer noch immer an ihrer Nähmaschine. Hinter ihr türmen sich farbige Stoffbänder, sorgfältig aufgerollt. Daneben stehen lange Regalmeter mit Pappkistchen voller Etiketten; Aufnäher von Valentino und Versace liegen neben einem Edelweiß, einem Fisch, einem grünen Damenschuh aus Stoff. Pia Fischer ist Modedesignerin. Sie verarbeitet, was sonst wertlos wäre: Textiletiketten aus Restbeständen.

Was wie das perfekte Konzept in Zeiten der Krise klingt, betreibt Fischer schon seit zehn Jahren. Die Designerin wollte im Berliner Kunstverein aufgenommen werden, dafür schuf sie eigene Stoffe – aus Zutaten, die mit der Schneiderei verbunden sind: Knöpfe, Reißverschlüsse, Etiketten. Jetzt sitzt sie an ihrem Arbeitstisch in einer Ecke des Ladens. Sie schneidet Bänder zurecht, steckt, näht. Am Handgelenk trägt sie ein Nadelkissen. Sie trägt Grün heute, Jacke, Hose, Ohrringe: „Grün heilt.“ Das kurze Haar ist hennarot.

Kommen und kaufen

Ihren Lebensunterhalt verdient die Modekünstlerin nicht mit Kleidern. Die sind zu ausgefallen, zu wenig tragbar, zu teuer. Dafür hängen zwei von ihnen im Deutschen Historischen Museum. Fischer verdient – genau wie große Modehäuser in Paris oder Mailand – an den Accessoires: Taschen, Rucksäcke, Portemonnaies. Die könnte sie auch gut im Netz verkaufen, doch ein Online-Store ist nicht in Planung. „Wer meine Sachen kaufen will, muss schon herkommen“, sagt Fischer. Nicht nur, dass sie keine Zeit hat, sich darum zu kümmern: Sie schätzt das Gespräch mit den Kunden.

Und so stellt Pia Fischer alles auf den Kopf, was die moderne Konsumwelt ausmacht: Mailorder, Facebook, PayPal. Dafür pflegt sie ein Frauennetzwerk, in dem Frauen sich gegenseitig helfen und empfehlen. Und: Jedes ihrer Stücke hat mit Kommunikation zu tun: „Jemand, der kein Bedürfnis nach Gesprächen hat, kauft sich nicht so einen Rucksack.“ Ihre „Plissee-Rucksäcke“ sind aus farbigen Bändern genäht. Sie sehen zart aus, wie Schmetterlinge oder japanisches Faltwerk. Wer so einen Rucksack trägt, wird angesprochen.

Auf die Idee, Recyclingmaterialien zu verwenden, sind auch schon andere gekommen. Die Schweizer Freitag-Brüder entwerfen Umhängetaschen aus gebrauchten Lkw-Planen; der belgische Designer Martin Margiela fertigt Kleidung aus Kämmen und Perücken. Doch Pia Fischer kümmert sich nicht darum: „Ich mach halt mein Eigenes.“ Nur den britischen Modepunk Vivienne Westwood mag sie, „weil die so verrückt ist“.

Seit sie 15 Jahre alt ist, näht sie. Sie absolvierte eine Schneiderlehre, studierte Modedesign an der Kunsthochschule in Basel. Mit Anfang 20 stellt sie sich für ihren ersten Job vor. „Gehen Sie nach Paris“, rät der Chef, als er ihre Zeichnungen sieht. Doch sie nimmt den Job. 1991 zieht sie nach Berlin, schwanger folgt sie dem Vater des Kindes. „Meine große Liebe“, sagt sie. Heute leben sie getrennt, er wohnt mit den drei Söhnen ganz in der Nähe.

Gehen und lächeln

„Am Anfang weiß ich nie, was aus einem Stück wird“, sagt Fischer, „ich fange einfach an und überrasche mich.“ Ein Selbstvertrauen, das sie ihrem zweiten Standbein verdankt: Sie ist Lichtarbeiterin, ein „Kanal für göttliche Energie“. Sie hilft Menschen, sich „energetisch aufzurichten“, und dies seit ihrer Jugend – man sieht es ihr an, die glatte Haut verrät ihre 50 Lebensjahre nicht. Der offene Blick erzählt von einer Frau, die liebt, was sie ist. Und wenn ihre Kunden den Laden verlassen, dann lächeln sie.

■ Creation Pia Fischer, Eisenacher Straße 69, 10823 Berlin. Am 20. Juni zeigt Fischer ihre Werke auf der Messe Textile Art Berlin