Macht Uni dumm?
JA

STUDIUM Für kommende Woche rufen Studierende zum Bildungsstreik gegen die Reformen des Bologna-Prozesses

Burkhard Schwenker ist Chef der Roland Berger Unternehmensberatung

Mit den neuen, verschulten Studiengängen ist das Studium zu eindimensional. Gerade in unserer immer komplexeren Welt müssten die Hochschulen Studenten zum flexibleren Denken befähigen und zur Reflexion anregen – eine traditionelle Stärke der Universitätsausbildung. Zwei Punkte sind dabei besonders hervorzuheben: Erstens eine starke Forschung und eine theoriefundierte Ausbildung, denn die zunehmende Komplexität des Umfelds bedingt starke analytische Fähigkeiten. Und zweitens ein breites, interdisziplinäres Angebot in bester humanistischer Tradition, denn das ist meines Erachtens immer noch die beste Antwort auf die Frage, wie Ethik und Moral effektiv in die Ausbildung von Managern zu integrieren sind.

Alexandra Iwanowa studiert unter anderem Japanologie in Frankfurt am Main

Sollte ich jemals etwas Vernünftiges lernen, dann wäre dies meiner Uni zum Trotz. Als kleines Fach leidet unsere Japanologie unter Personalmangel und Rechtfertigungsdruck. Vielfalt – und damit Wahlfreiheit – in das starre Bachelor-Korsett zu kriegen ist kaum möglich. Ich lerne, was mein vorgefertigter Stundenplan hergibt, und zwar mit Anwesenheitspflicht, Credit-Points und vielen Klausuren. Der Aufwand ist groß, der Effekt geht gegen null: Auswendiglernen auf Kommando war noch nie meine Stärke. Die Texte, die ich aus reinem Interesse lesen will, bleiben liegen. Wenn jetzt allerdings Fragen aus einem schon bestandenen Test kämen, dann fände man als Antwort darauf in meinem Kopf einen bunten Wirrwarr aus Satzfetzen, Multiple-Choice-Kästchen und einem vagen „Hab ich schon mal gehört …“

Marius Reiser, katholischer Theologe, hat seine Professur in Mainz aus Protest niedergelegt

Das neue Studiensystem ist eine einzige große Dummheit. Man schafft die bewährten und weltweit angesehenen Abschlüsse ab und ersetzt sie durch neue, die es so noch nirgends auf der Welt gegeben hat. Und man macht das nicht probehalber bei zwei oder drei Universitäten, sondern gleich überall. Die Autonomie der Universitäten und die grundgesetzlich garantierte Freiheit von Forschung und Lehre kümmert niemanden mehr. Man hatte hehre Ziele: höhere Mobilität, internationale Vergleichbarkeit der Abschlüsse, Senkung der Abbrecherquoten, Verbesserung von Forschung und Lehre. Das Gegenteil ist erreicht worden. Bildung, selbstständiges Denken, kritisches Urteil, sachliches Argumentieren: vorbei. Auch wenn an den Gebäuden ganz groß UNIVERSITÄT steht, das ist keine mehr.

Robert Jende studiert in Jena Soziologie und Philosophie. Er hat den Text auf taz.de eingestellt.

Das Bachelor- und Masterstudium, ein Diktat der flexiblen Märkte zur Steigerung des Wettbewerbs, soll die Uni in eine effiziente Wissensfabrik verwandeln. Heraus kommen dort geschröpfte Dampfköpfe, die auswendig lernen können. Doch es hat was Gutes – für die Unternehmen: Sie sparen Ausbildungskosten. Jetzt gibt es ein europäisches Einheitsstudium – die Abschaffung des Denkens, noch mehr Druck und eine Inflation der Bildung, denn wer wird künftig noch ohne Bachelor eingestellt? Die formulierten Ziele kehren sich auch noch ins Gegenteil.

NEIN

Johanna Wanka ist brandenburgische Wissenschaftsministerin und CDU-Landeschefin

Die Reform hat es ermöglicht, das Studium individueller zu gestalten. Die Wahrscheinlichkeit, es zum Erfolg zu führen, ist damit wesentlich höher. Das halte ich für einen großen Vorteil, in einer Zeit, in der immer mehr junge Menschen studieren wollen. Studienanfänger werden jetzt intensiver betreut: Es gibt eine strukturierte Eingangsphase und einen Mentor für jeden Studierenden. Handlungsbedarf besteht noch, beispielsweise bei der Anerkennung von Studienleistungen. Aber der Bologna-Prozess ist nicht aufzuhalten.

Wolf Wagner („Uni-Angst und Uni-Bluff“) ist Soziologieprofessor an der FH Erfurt

Viel zu viele Lehrende geben Bologna die Schuld an einer Verschulung, die sie selbst erzeugen. Sie setzen weiterhin auf frontale Wissensvermittlung und Abfrage per Klausur, um sich Zeit für ihre Forschung freizuhalten. Es ist ein Strukturfehler, dass Erfolge in der Forschung viele Vorteile, Erfolge in der Lehre überwiegend Nachteile bringen. So steht die Lehre immer schon im Schatten der Forschung. Die Reform sollte Grundlegendes ändern: Die für den Beruf notwendigen Kompetenzen sollten im Mittelpunkt der Lehre stehen. Der Kompetenzzuwachs der Studierenden sollte Maßstab der guten Lehre sein. Kompetenzen sind Fähigkeiten. Die kann man nur erwerben durch aktives Erarbeiten und Üben. Das erfordert aktivierendes Lehren, also eine völlig neue Art des Lehrens. Das kostet Zeit und Arbeit.

Margret Wintermantel ist seit März 2006 Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz

Es ist schwer nachzuvollziehen, wie manche Studierende und Professoren derzeit die eigene Hochschulbildung schlechtreden. Universitäten vermitteln nicht nur Fachwissen, sondern Problemlösungskompetenz auf wissenschaftlicher Grundlage; sie bieten Raum, sich zu verantwortungsfähigen Mitgliedern der Gesellschaft zu entwickeln. Das ändert sich mit der Bologna-Reform weder nach Anspruch noch in der Realität. Wenn mancherorts zu enge Studienpläne, zu viele Prüfungen eingeführt wurden, vielleicht sogar das selbstständige Denken zu kurz kam, muss das korrigiert werden. Wenn die Reform unterfinanziert ist, müssen wir für Verbesserung kämpfen. Stattdessen die Universitäten als Verdummungsanstalt zu diffamieren, ist schädlich – und dumm.

Ma Rui ist 2008 als Austauschstudentin für Germanistik aus China nach Berlin gekommen

Ich wollte eigentlich nur ein Semester in Deutschland studieren, jetzt habe ich mein chinesisches Studium abgebrochen und mich ganz an der Humboldt-Universität eingeschrieben. Hier habe ich gelernt, Literatur mit gesellschaftlichem Hintergrund zu verbinden, in China ist das Germanistikstudium mehr ein Sprachelernen. Außerdem muss ich dort auch als Deutschstudentin Mathematik und EDV belegen. Das deutsche System gibt einem dagegen die Möglichkeit, das Studium in eine Richtung zu vertiefen. In Seminaren habe ich die Chance, mich selbst auszudrücken und meine Meinung sagen. In Hangzhou, wo ich herkomme, haben einige Studenten 30 bis 40 Stunden pro Woche. Ich kann aber von mir selbst sagen, dass ich an der deutschen Uni dazulerne, auch wenn ich weniger pauke.