Wer in der Türkei Schweinefleisch isst, wird nicht gesteinigt

Alparslan Marx hat die Nase voll: Seit 22 Jahren lebt der Türke in Deutschland und noch immer bekommt er die deutschen Vorurteile zu spüren. Jetzt will der dreifache Vater an der Schule seiner Kinder in Mauenheim einen Dialog zwischen deutschen und türkischen Eltern in Gang bringen. Beim ersten Infoabend gab es Aufklärung über türkische Kultur

KÖLN taz ■ Alparslan Marx hat sich viel vorgenommen: Einen aktiven Infoabend über die Türkei und die Türken wollte er anbieten. Alle Eltern und Lehrkräfte der Gemeinschaftsgrundschule (GGS) Nibelungenstraße in Mauenheim waren eingeladen. 10 Elternteile kamen. „Die Lehrer scheint das Thema leider nicht zu interessieren“, bedauert Marx.

Auf den Tischen im Bürgerzentrum Altenberger Hof stehen – wie in der Türkei üblich, wenn Gäste kommen – kleine Schälchen mit „Cerez“: Knabbereien wie geröstete Sonnenblumenkerne, Pistazien, Kichererbsen und Nüsse. Marx hat einen kleinen Fragebogen vorbereitet, den er an die Teilnehmerinnen und Teilnehmer verteilt. Anhand von Fragen zur Türkei können die Deutschen nun zunächst ihre Kenntnisse über die Türkei überprüfen. „Welche Strafe steht in der Türkei auf den Verzehr von Schweinefleisch“, wird etwa gefragt. Man hat die Wahl zwischen den Antworten a) lebenslänglich, b) zwei Monate, c) Steinigung und d) keine.

„Ich fühle mich nach 22 Jahren in Deutschland wieder als Ausländer. Immer öfter muss ich mich auch im Freundeskreis rechtfertigen und erklären“, sagt Marx. Die Debatte um den EU-Beitritt der Türkei habe geschadet und viele Vorurteile sichtbar gemacht. Diese Vorurteile durch Informationen über die Türkei und die Türken auszuräumen, ist sein Ziel. „Ich will nicht, dass meine drei Kinder irgendwann einmal Probleme damit haben, zuzugeben, dass ihr Papa Türke ist. Sie wachsen zweisprachig auf und sollen das nicht als etwas Negatives empfinden“, sagt der 40-Jährige mit dem für einen Türken ungewöhnlichen Nachnamen. Den hat er von seiner Frau angenommen, weil er es leid war, seinen schwierigen türkischen Familiennamen buchstabieren zu müssen.

Inzwischen sind die Fragebögen ausgefüllt und Marx, der von den türkischen Eltern der GGS zum Sprecher gewählt wurde, arbeitet sich nun an den klassischen Vorurteile über Türken ab. Dass der selbständige Bauunternehmer mit wissenschaftlicher Migrationsforschung nichts zu tun hat, merkt man seinem Vortrag an. Ohne Scheu vor den Tücken der political correctness streift er im Galopp den Aufbruch der Turkvölker in Zentralasien gen Westen, die Seldschuken, die Osmanen, Atatürk und seine Reformen, die Kurden, den Islam, die Sunniten, die Aleviten, die Rolle der Militärs, die Anwerbung von Gastarbeitern, die Besonderheiten der türkischen Sprache, Fragen der Integration, Segregation, Ehre, Respekt, Patriarchat und und und.

Oft wird er von den Teilnehmern unterbrochen, aus Marx‘ Parforceritt durch die türkische Geschichte entsteht eine angeregte Diskussion. Dabei interessieren sich die Frauen vor allem für ganz alltägliche Fragen: „Warum kommt der türkische Klassenkamerad meines Sohnes nicht zum Geburtstag, obwohl er nun zum dritten Mal eingeladen ist?“ Oder: „Warum sprechen türkische Eltern über meinen Kopf hinweg türkisch, obwohl ich mich zu ihnen geselle, um mich mit ihnen zu unterhalten?“ Und eine Mutter kann nicht verstehen, warum sie „so viel“ über Türken lernen soll – wo sich doch „die Türken“ überhaupt nicht für „unsere Kultur, Gepflogenheiten und Sprache“ interessieren. „Soll ich am Ende noch Türkisch lernen müssen, weil die Türken sich weigern, Deutsch zu lernen?“

Nach drei Stunden kontroverser Diskussion sind die Cerez-Schälchen leer und die Eltern um einige Erkenntnisse reicher. Für Marx wie für die Teilnehmenden hat der Infoabend seinen Zweck erfüllt: Der Dialog ist in Gang gekommen. Als Nächstes will der engagierte Vater gezielt türkische Eltern zu einem Infoabend über Deutsche, ihre Geschichte und Kultur einladen.CILER FIRTINA