Hier hätte Marlene gespeist, das ist sicher

Jan Feddersens Gastrokritik: Der „Blaue Engel“ in Schöneberg – der Brunch am Sonntag lohnt die Anreise – und zwar trotz herumtobender Kinder

Was für ein entzückendes Ambiente. Zwar auf der falschen Seite der Hauptstraße gelegen, also dort, wo Türkens doch nach Meinung der Menschen im Akazienstraßenkiez sehr geballt leben, doch mit bester Adresse: Mitten auf der Roten Insel, eingezwängt, ach was, gehegt von den S-Bahn-Strängen, im Süden durch die Stadtautobahn und im Norden durch die S-Bahn-Gleise, die an der Yorckstraße wieder zueinander finden.

Das ist die Rote Insel, wo die Kommunisten stark wie sonst nirgends in Berlin waren – und wo Marlene Dietrich aufwuchs. Ein Soziotop voller grüßender Nachbarschaften; nicht zu schick, nicht zu grob, und mittendrin, fast in Wurfweite zum markanten Gasometer am S-Bahnhof Schöneberg, da liegt das Bistro „Blauer Engel“, mit Vorgarten an der Ecke.

Drinnen knarren die Dielen, sind die Toiletten noch frei vom Schöner-Kachelglanz-Stil der meisten anderen Gasthäuser, die man so kennt: Der Clou ist aber die sehr schöne Behaglichkeit, die der „Blaue Engel“ nicht zuletzt dank seines Wirts und seiner umsichtigen Kellnerin verströmt, eine Häuslichkeit, die obendrein garniert wird von allerlei Nippes rund um das Thema Marlene. Hier hätte die Dietrich gespeist, das ist sicher: rustikal, wa, aber mit Anspruch.

Abends gibt’s allerlei Konventionelles, vom Bratkartoffelspiegelei bis zum argentinischen Rumpsteak. Nicht übel. Herausragend aber der Brunch am Sonntag, der selbst die Anreise von sonst wo lohnt. Da fahren die Gastronomen auf – Parmaschinken mit Melone, Pastrami, Putenbrustschinken, Rührei unterm Wärmetopf … alles schön und gut, aber das ist nicht der unique interesting point dieses Hauses. Unsere Zuneigung galt dem Eiersalat, der mit großem Löffel dazu einlädt, reichlich genommen zu werden. Und die Fischleckereien, sauer Eingelegtes. Einen Sonntag gab es sogar Roastbeef zartester Zubereitung, dazu eine Remoulade, die nicht mit Fett geizte. Gut, dass sich einer traut, dem Yoghurt als Geschmacksträger zu misstrauen. Die Desserts: Schüsseln familiären Zuschnitts voller roter Grütze, Cremes, Fruchtsalate. Und so angerichtet, dass sich niemand schämen muss, wenn er Hunger hat.

Sympathischer Zug: Als wir nach einer Stunde gingen, fragten die Wirtsleute besorgt, ob es uns nicht gefallen habe, so schnell, wie wir wieder aufbrächen. Oh, nein, im Gegenteil. Sogar die umhertollenden Kinder, sonst ja gern ein unkommentiert bleiben müssendes Problem für jeden Kneipier wie für seine Gäste, wirkten sonntäglich gut gelaunt: ein Idyll, das sogar vergessen macht, dass die nichtalkoholischen Getränke extra berechnet werden. So oder so: absolut empfehlenswert!

BLAUER ENGEL. Gotenstr. 1, 10829 Berlin, Bus 104 & 187, Fon (0 30) 78 70 70 80, Mo bis Sa 17.30–1 Uhr, Hauptgerichte: 4,90–10,50 Euro; So Brunch: 8,20 Euro, Kinder 4,10 Euro, 10–15 Uhr; auf Wunsch Leitungswasser