berliner szenen Traumpost (6)

In Amerika

Das Büro, wo ich etwas abholen sollte, befand sich im 17. Stock. Als ich im Fahrstuhl vor den Etagenknöpfen stand, war ich mir da aber nicht mehr so sicher. Der Mann, der nach mir in den Fahrstuhl eingestiegen war, drückte auf die 7, und ich war sogleich der Meinung, dass auch ich in die 7. Etage müsse. Ich hatte den Auftrag, das Büro aufzusuchen, von einer hundertjährigen New Yorkerin erhalten, aber ich wusste, dass sie seit fast einem Jahr tot war. Den Namen des Büros hatte ich in mein Notizbuch geschrieben. Das Notizbuch hatte ich aber zu Hause vergessen. „The man in the elevator“, wir waren in Amerika, erzählte während der Fahrt, dass der Fahrstuhl immer mal steckenbleibe, weil er sich während der Fahrt um die eigene Achse drehe.

Ich stand in der 7. Etage und wusste nicht, wohin. Es war schummrig im Flur, niemand war zu sehen, auch der Mann war verschwunden. Vielleicht würde mir ja auf dem Weg der Name des Büros einfallen. Die Etagen wanden sich wie eine Schlingpflanze spiralförmig um den Fahrstuhl. Das fiel mir erst auf, als ich bemerkte, dass die identischen Türen, die eben noch alle eine 7 als erste Zahl auf dem Türblatt stehen hatten, erst eine 8 und später eine 9 usw. bekamen. Der Weg stieg leicht an, was mich ermüdete. Erst in der 11. Etage fand ich eine offene Tür, hinter der sich ein riesiger hell beleuchteter Saal befand, wo gerade große Tafelbilder mit deutscher Malerei aufgehängt wurden. „Ah“, dachte ich, „die junge deutsche Malerei auf ihrem Siegeszug in Amerika, da muss ich wenigstens nicht radebrechen, wenn ich nach dem Weg frage.“ Ich lief auf ein Paar zu, das gerade ein riesiges Porträt einer Frau aufhängte. Allerdings gelang es mir nicht, dieses Paar zu erreichen, so sehr ich mich auch bemühte. ANNETT GRÖSCHNER