Das Montagsinterview
„Karstadt ist wie die Kirche“

Karstadt kennt die Krise: 1931 stand das Haus auf der Kippe. Damals halfen Deutsches Reich und die Gründer selbst aus
RETTEN ODER STERBEN LASSEN Karstadt kämpft ums Überleben, die Angestellten fürchten um ihre Jobs und der Rest sieht ein Symbol wanken. Vielen gilt das Kaufhaus als das deutsche Unternehmen schlechthin. Der Bremer Kaufmann Holger Bergt ist sein selbst ernannter Chronist – und genau in der Analyse der Eigenverantwortung

INTERVIEW CHRISTIAN JAKOB

taz: Sie archivieren seit Jahren alles, was mit Karstadt zu tun hat. Da haben Sie im Moment ja gut zu tun.

Holger Bergt: Ja, ich müsste mir eine Woche Urlaub nehmen, um die ganzen Zeitungen zu bearbeiten.

Werden Sie jetzt vom Chronisten zum Historiker?

Nein. Eine Totalinsolvenz steht nicht zur Debatte. Einige Häuser werden schließen müssen, aber die guten Standorte werden sich behaupten können, daran gibt es keinen Zweifel.

Im Mai hat Karstadt mit einer Werbekampagne zum Grundgesetz-Geburtstag namens „Liebes Deutschland. Unsere ersten gemeinsamen 60 Jahre waren bewegte Zeiten“ Stimmung für Staatshilfen gemacht und sich als Symbol für das Wirtschaftswunder dargestellt …

… ist es ja auch.

Darf man so ein Symbol sterben lassen?

Schwierig. Das Argument der CDU ist ja, dass die Steuerzahler nicht für die Fehler der Manager aufkommen sollen. Und das stimmt ja auch. Andererseits arbeiten bei Karstadt viele ältere Frauen, die große Schwierigkeiten hätten, wieder einen Job zu finden. Und ihr Arbeitslosengeld müsste ja auch vom Staat bezahlt werden.

In Bremen haben sogar die Grünen gefordert, der Bund solle Karstadt mit Krediten retten, weil die City ohne das Kaufhaus „unvorstellbar“ sei.

Einige Städte, wie zum Beispiel Hameln, haben die Schließung von Hertie – ehemals Karstadt – ganz gut verkraftet. Aber an anderen Standorten gilt das sicherlich nicht. Für viele ist Karstadt genauso ein Teil der City wie das Rathaus oder die Kirche. Es gibt ja bereits Innenstädte, in denen der ganze Einzelhandel in Schwierigkeiten geraten ist, weil das Karstadt-Haus schloss …

Wo denn?

In Bottrop zum Beispiel. Auch in Bremen, Bremerhaven, Wismar oder Lübeck würde sich das wie ein Erdrutsch auf die Umgebung auswirken. Immobilien dieser Größe wieder zu vermieten, ist schwierig. Insofern sind die Ängste der Bürgermeister schon zu verstehen.

Womöglich hinterlässt Karstadts Pleite tatsächlich hässliche Lücken – aber im Moment tun alle so, als ob die Ladenkette etwas ganz Besonderes sei. Warum?

Karstadt ist wie die Dresdner Bank, Siemens oder Opel, ein typisch deutsches Unternehmen, das zum Land einfach dazugehört …

Opel ist kein sehr optimistisches Beispiel …

Karstadt steht für das Warenhaus schlechthin, es ist ein Traditionsunternehmen. „Ich arbeite bei Karstadt“, das hatte was, das stellte was dar.

Opel auch. Das dürfte aber passé sein.

Für viele Menschen, die lange bei Karstadt sind, ist es noch immer etwas Besonderes. Bis in die 1960er, 1970er Jahre war es für viele junge Frauen, die keine höhere Ausbildung hatten, ein sehr attraktiver Arbeitgeber. Es war abgesichert und gut bezahlt.

Apropos Arbeitgeber: Sie sprachen von Fehlern des Managements. Welche waren das denn?

Das zieht sich durch die letzten 15 Jahre. Seit der Übernahme von Hertie 1994 hat jeder Vorstand etwas anderes versucht – aber keiner eine einzelhandelsorientierte Firmenpolitik. Nach der Übernahme sind Investitionen in Karstadt-Häuser lange ausgeblieben, weil man sich erst um die maroden Hertie-Häuser gekümmert hat. Das war der erste Fehler.

Und der zweite?

2004 hat das Management entschieden, keine Häuser mehr zu betreiben, die kleiner als 8.000 Quadratmeter sind. Man hat die erst „Karstadt kompakt“ genannt und dann für 500 Millionen zusammen mit Hertie an englische Investoren verkauft. 74 Häuser werden geschlossen – davon 16 im Norden. Und zwar nur, weil sie zu klein sind, obwohl durchaus profitable Filialen darunter waren. Schließlich hat Middelhoff verstärkt auf Luxus gesetzt. Er wollte weltweit 22 KaDeWe’s aufbauen und hat Häuser wie das Oberpollinger in München auf edel getrimmt.

Das ist nicht unbedingt widersinning: Das Luxus-Marktsegment hat seit Jahren die höchsten Wachstumsraten.

Erstens schreibt zum Beispiel Oberpollinger tiefrote Zahlen. Und zweitens wurde wegen der Investitionen in die Luxusfilialen versäumt, auch die übrigen Häuser angemessen zu fördern. Fatalerweise waren es genau die, denen man nun vorwirft, unprofitabel zu sein. Genau das gerät jetzt diesen Filialen zum Nachteil.

Was heißt „angemessen zu fördern“?

Ein Warenhaus muss alle zehn bis elf Jahre komplett renoviert werden. Man muss den sich ändernden Käufergewohnheiten und der aktuellen Einzelhandels-Entwicklung Rechnung tragen und natürlich auch das Innendesign modernisieren.

Hat das Management auch etwas richtig gemacht?

Lange war die Werbung sehr altbacken, kein Mensch hat die wahrgenommen. 2007, mit der ersten neuen Kampagne von Middelhoff – „Die Stadt wird zum Dschungel“ – ist das besser geworden, das war immerhin ein optischer Fortschritt.

Aber?

Das war alles viel zu teuer. Man hat seitdem acht bis zehn Kampagnen im Jahr gefahren. Jedes Mal wurde alles ausgetauscht, zum Beispiel sind jedes Mal Zigtausende Tüten in den Sondermüll gegeben worden. Vier Kampagnen im Jahr, eine pro Jahreszeit, hätten völlig gereicht.

Hertie ist am Ende, Karstadt auf der Kippe. Kann es nicht sein, dass einfach niemand mehr in solchen Warenhäusern einkaufen will?

Nein. Das kommt entscheidend auf die Ausrichtung an. Man darf eben nicht überall auf ein Vollsortiment setzen, mit Elektro- und Buchabteilung, wenn es rundum einen Saturn, einen Mediamarkt und 23 Buchläden gibt. Dann kommen in der Tat keine Kunden mehr. In Essen war das zum Beispiel der Fall. Und wo steht denn, dass die Häuser 30.000 Quadratmeter groß sein müssen? Ein Haus, das sich auf bestimmte Angebote beschränkt, kann mit 8.000 Quadratmetern besser aufgestellt sein als ein großes.

So zusammenzuschrumpfen kratzt ganz schön am Ego …

Naja, aber eine Lebensmittelabteilung inmitten von drei Supermärkten, das muss nicht sein. Man kann mit anderen Abteilungen punkten. Zu schrumpfen kann eine Stärkung des Standorts sein. Was sich fast immer lohnt, ist ein Restaurant. Das verlängert die Aufenthaltsdauer im Haus erheblich.

Hat Karstadt eigentlich schon einmal so eine Krise erlebt?

Ja, 1931 stand Karstadt schon einmal kurz vor der Pleite. Die Gründer hatten sich mit dem Bau von Fabriken sowie der Expansion und dem Zukauf von Firmen übernommen. Das Deutsche Reich musste mit Stützungskrediten rettend eingreifen, es gab einen Baustopp für neue Filialen und das ganze Privatvermögen der Gründer ging für die Rettung drauf.

Wie geht’s diesmal aus?

Im Moment gibt es 89 Häuser. 60 bis 65 werden vermutlich überleben.

Und im Norden?

In Norddeutschland sind es 20 Filialen. Die meisten stehen ganz gut da. Aber eine der beiden in Kiel ist sicher ein Wackelkandidat.