Land verschiebt Gedenken

Fahrten zu Gedenkstätten des Nationalsozialismus sind in NRW in diesem Jahr gestrichen. Der Kölner Autor Giordano und Jugendvereine sind entsetzt über die Kürzung bei der Geschichtsaufklärung

von ANNIKA JOERES

Ralph Giordano ist erschüttert über die Landesregierung. Der jüdische Schriftsteller aus Köln kann nicht fassen, dass in diesem Jahr kein Landesgeld für Fahrten zu Gedenkstätten in Auschwitz, Dachau und Birkenau fließen kann. „Es ist heute wichtiger denn je, Jugendliche aufzuklären und ihnen ein emotionales Verhältnis zur NS-Vergangenheit zu verschaffen“, sagt Giordano. So viel Geld werde verschwendet, sagt er, „es erschüttert mich, wenn diese Summe für eine solche Sache nicht aufgebracht werden kann.“ Die Kürzung müsse zurückgenommen werden.

Das Ministerium verteidigt die Streichung. „Fahrten zu Gedenkstätten sind sehr schön, aber wir haben kein Geld“, sagt Nina Schmidt, Sprecherin des Jugendministeriums. Schon im vergangenen Jahr strich der Landtagsausschuss für Jugend mit rot-grüner Mehrheit die Förderung „internationaler Jugendarbeit – Gedenkstättenfahrten.“ In den Jahren zuvor gab es dafür noch 330.000 Euro vom Land, nun gibt es im Doppelhaushalt 2004/2005 keinen Euro mehr für die Jugendfahrten. Nach zahlreichen Protesten gab sich das Ministerium im vergangenen April zerknirscht: Die Fahrten sollten mit Geldern aus anderen Töpfen unterstützt werden. „Das geht nur in ganz begründeten Einzelfällen“, sagt Schmidt jetzt. Bisher sei ihr so ein spezieller Fall nicht bekannt.

Auch der Jugendclub Courage aus Oberhausen und Mülheim erhält für seine Fahrten nach Auschwitz und Dachau kein Geld vom Land. „Das ist ein Skandal“, sagt Leiterin Stephanie Mantaj (siehe Interview). Sie hatte sich in der vergangenen Woche mit einem Brief an Ministerpräsident Peer Steinbrück (SPD) und alle Fraktionsvorsitzenden gewandt, bisher ohne Resonanz. „Einerseits regen sich alle über den NPD-Auftritt auf, andererseits können wir nicht mehr aufklären“, sagt Mantaj.

„Wir wissen nicht, ob wir einen Euro erhalten“, sagt auch Heiko Hamer vom Dortmunder Internationalen Bildungs- und Begegnungswerk. Hamer versucht nun, auf anderen Wegen Geld zu bekommen, über private Stiftungen und Vereine. „Das Interesse von Schulen und Jugendlichen nach wie vor groß“, sagt Hamer. Für SchülerInnen seien die Begegnungen einschneidende Erlebnisse. Davon ist auch Giordano überzeugt. „Nichts wirkt so stark wie Gespräche mit Zeitzeugen und die Originalstätten des Verbrechens.“ Diese Möglichkeit habe die Landesregierung leichtfertig verspielt.