Kultur im toten Winkel

Der Kultursenator hat sich vom Fiasko bei Theater- und Opernbesetzungen noch nicht erholt, schon droht Ungemach von anderer Stelle. Problematischer ist, dass Flierl derzeit ohne Konzept operiert

VON ROLF LAUTENSCHLÄGER

Es kann gut tun, wenn die Seiten im Feuilleton auch einmal von anderen und anderem bespielt werden, statt nur von den Niederungen aktueller Berliner Kulturpolitik zu berichten. Wie zum Beispiel von der 55. Berlinale, dem Filmfestival Berlins. Kultur in Berlin, so wird in den kommenden zehn Tagen zu lesen sein, bedeutet Glamour. Mehr als 3.000 Filme überschwemmen die Stadt und werden samt Stars und Sternchen, Besuchern und Medienrummel zum glanzvollen Ereignis. Es liegt, wie bei der MoMA-Ausstellung, eine Spannung über dem Potsdamer Platz. Und wenn Berlinale-Chef Dieter Kosslick das Kinofest in höchsten Tönen ankündigt, schwingt da ein Ton, ein positiver Klang mit, der Kultur zum Programm der Stadt erklärt – und sei’s auch nur als Show, Event und Personality.

Der Kultursenator mag derzeit froh sein über Klang und Abbild der Berliner Kultur in den Medien. Befreien diese doch ein wenig vom negativen Tenor der Schlagzeilen aus den vergangenen Monaten. Dort kam und kommt die Kulturpolitik des PDS-Senators Thomas Flierl schlecht weg. Die Wochenzeitung Die Zeit etwa kanzelte ihn als „Belastung“ Berlins ab, seine Arbeit sei „ohne Ideen“ und voller „schwerwiegender Fehler“. Muss der PDS-Mann samt seinem „verosteten“ Kulturbegriff nicht besser weg, fragte das Blatt?

Richtig ist, um die Berliner Kulturpolitik ist es derzeit darum schlecht bestellt, verliert sie doch an Einfluss. Zudem ist ihr Senator noch immer in den Nachwehen der Besetzungsfarce für das Deutsche Theater und die Opernstiftung verkeilt, bei deren Genesis der Kultursenator viele Federn lassen musste. Flierl hat sich blamiert.

Richtig ist auch: Flierl gelingt es derzeit nicht, konzeptionell und politisch wieder Souveränität zu erlangen. Einstige Erfolge wie seine Opernstrukturreform und der damit einhergehende Erhalt der drei großen Bühnenhäuser, der Hauptstadtkulturvertrag sowie die Akzeptanz bei Künstlern, Produzenten, dem Tanz et cetera muss Flierl erfahren, zählen im politischen Tagesgeschäft wenig – zumal wenn es an Neuem mangelt, jedoch nicht an eigenen Fauxpas.

Zur Erinnerung: Das „traurige Drama um die Intendanz des Deutschen Theaters (DT)“, das zur „Tragödie“ avancierte, wie die Kulturexpertin Monika Grütters (CDU) es formulierte, hatte sich der Kultursenator selbst eingebrockt. Flierls Plan sah vor, Christoph Hein als DT-Chef zu installieren. Der Schriftsteller sollte Bernd Wilms als Intendant 2006 ablösen. Kaum nominiert, erklärte Hein Ende 2004 jedoch seinen Rücktritt und beklagte das „schlechte geistige Klima“ und die „massiven Vorverurteilungen“ in der Presse, die ihm und dem PDS-Senator „Ostgekungel“ vorhielten.

Gescheitert aus der Sache aber ging weniger Hein selbst hervor. Gescheitert war vor allem Flierl bei seinem Versuch, bei der Besetzungspolitik aus dem bekannten Intendantenkarussell gewichtiger Namen auszuscheren und für das größte Theater in der Stadt eine Figur intellektueller und programmatischer Dimension zu etablieren.

Flierl sah die spezifischen Berliner Fallstricke nicht. Er habe den „falschen Schauspieler auf die Bühne geschickt“, urteilt Grütters. Statt einen großen Namen zu präsentieren oder an der Beschäftigung des erfolgreichen Wilms festzuhalten, habe der „Politregisseur Flierl“ mit der Absicht, das DT ostmäßig „auf Linie zu bringen“, gar dem Ansehen der Kulturstadt Berlin geschadet. Das saß. Thomas Flierl musste einlenken, Wilms wird weiter das DT leiten.

Der Ost-West-Kulturkampf

In die Rolle des Berufsostlers und als Projektionsfläche für alte Ost-West-Animositäten sah sich PDS-Flierl auch bei der Besetzung des Direktorenpostens für die Opernstiftung gedrängt. Mit Michael Schindhelm hat der Senator – nach vielen Absagen – zwar seinen Kandidaten durchgebracht. Doch dem Verfahren haftet bis dato ein schaler Geschmack an. Erst ließ Flierl durch einen Journalisten heimlich den Gegenkandidaten Schindhelms ausforschen. Dann flog die Sache auf und „Ossi“ Schindhelms Stasi-Vergangenheit dazu.

Als endlich dem neuen Direktor die Absolution erteilt und der Job zugesprochen wurde, war dennoch schon zu viel Porzellan zerschlagen. Seither geht in Fragen der Opern- oder Theaterbesetzungen einerseits und Flierl andererseits das Gespenst eines Ost-West-Kulturkampfes in der Berliner Szene um – wohl das dämlichste Fass, was aufgemacht werden konnte.

Flierl selbst nährt diese Symptome und wird zugleich von ihnen eingeholt. Sein Plädoyer für eine Zwischennutzung des Palastes der Republik etwa ist ungeschminkte „Ostpolitik“, die sich gegen den Bundestagsbeschluss samt Abriss wendet. Umgekehrt traut man dem Senator nicht zu, ein ernsthaftes Konzept zum Mauergedenken auf die Beine zu stellen. So polemisierten die Oppositionsparteien CDU und FDP gegen den Kultursenator und dessen Äußerungen, das umstrittene Hildebrandt-Mauermahnmal am Checkpoint Charlie sei eine „Inszenierung historischer Unwahrheiten“. Flierl verhöhne die Maueropfer, er denke noch immer in den Kategorien des „Antifaschistischen Schutzwalls“. Das alte Westberlin lässt grüßen!

Für den Senator bedeutet dies kommunaler kulturpolitischer Gegenwind, der schon von Bundesseite heftig weht. Statt Konsens prägt immer mehr der Dissens das Verhältnis zwischen Flierl und Staatsministerin Christina Weiss. Regelrecht spürbar sind die Störungen zwischen Bund und Land seit Flierls Palast-der-Republik-Erhaltungsvorstoß und seinen Intendanten-Flops. Umgekehrt reagierte der Senator sauer, als der Bund nach einer Million Euro aus dem 10-Millionen-Topf des Hauptstadtkulturfonds griff. Den Berliner Kunstprojekten fehlt diese Summe ab 2005.

Konfliktstoff beinhaltet auch das Mauergedenken. Kaum war darum in der Hauptstadt ein heftiger Streit ausgebrochen und vom Senator eine Kommission ins Leben gerufen worden, die ein Gesamtkonzept erarbeiten soll, trumpfte der Bund mit eigenen Plänen am Brandenburger Tor auf. Schließlich verringert sich fast dynamisch der Berliner Einfluss beim zukünftigen Konzept für die „Topographie des Terrors“ ebenso wie der für andere Mahnmalprojekte – etwa beim Gezänk um die Inschrift zum Roma-und-Sinti-Gedenkbrunnen.

Berlins Bedeutungsverlust

Klar ist, die einstige Berliner Hoheit über Spielstätten, Museen, Gedenkorte und Gelder schwindet nicht nur. Mit der Übernahme vieler Berliner Kulturinstitutionen durch den Bund – wie das Jüdische Museum, die Festspiele, die Akademie der Künste, der Martin-Gropius-Bau, das Filmhaus, die Berlinale oder das Holocaust-Mahnmal – hat sich zugleich dessen Einflusssphäre erweitert – während das Land Berlin den kulturellen Bedeutungsverlust nicht ausgleichen kann.

Statt dieses kulturpolitische Vakuum endlich neu und offensiv auszufüllen, zögert Flierl, er agiert wie im toten Winkel. Längst hätte ein Mauer-Gedenkstätten-Konzept auf den Weg gebracht werden müssen. Auch die Risiken für den Hauptstadtkulturfonds hätten früher bedacht werden können. Zugleich hätte Flierl aus dem Fiasko der Intendantenbesetzung lernen und sich ein dauerhaft verlässliches Beratungsgremium für zukünftige Chefposten einrichten müssen, das ihm kabarettistische Bewerbungen à la Schlingensief vom Hals hält.

Stattdessen operiert der Senator an einem „städtischen“ Kulturbegriff herum. In einem Positionspapier hat Flierl den Diskurs über so genannte ureigenste Berliner Kulturaufgaben angeregt: über den Status, die Finanzierung und die Zukunft der Berliner Orchester, der städtischen Theater und Museen sowie die Bedeutung der freien Szene und schließlich die Bezirksaufgaben. Nach Meinung der Senatskanzlei ist das Papier nicht mehr als ein „Zwischenbericht“, sagt dieses doch noch viel zu wenig Konkretes aus.

Zudem lässt es Themen wie die Literatur und den Film in der Stadt ganz außen vor oder bemüht gar einen fragwürdigen Kulturbegriff. Denn Flierl muss sich fragen lassen, ob gerade die Stärkung kommunaler städtischer Kultur überhaupt den Königsweg darstellt. Berlin ist nicht Cottbus, Berlin ist die Metropole Deutschlands, ist europäische Großstadt, deren Geschichte und Kultur immer beides – Größe und Experiment, Stadt und Staat – zu repräsentieren hat. Die Strategie, dem Bund Institutionen und Inhalte zu überlassen, die jene metropolitane kulturelle Dimension widerspiegeln, führt darum in die falsche Richtung. Angesagt wäre vielmehr ein institutionelles und finanzielles kulturpolitisches Programm, in eigener Regie Kunst und Kultur, „Leuchttürme“ und Laboratorien, Stiftungen und alternative Geldquellen zu entwickeln und zu erschließen.

Zumal Kultur mittlerweile der Wirtschaftsfaktor für Berlin ist. Nicht nur über 100.000 Menschen arbeiten direkt oder mittelbar in diesem Sektor, er setzt auch Millionen um. Kultur bedeutet nicht politische oder ökonomische Peripherie, sondern steht im Zentrum Berlins.

Flierl scheint gerade das nicht zu verstehen. Er hat sich in Personalfragen, Gedenkkonzepten und in geplanten Strukturveränderungen für städtische Institutionen und die Szene verheddert. Dass sich Flierl all dem widmet, ist nicht schlecht, genug ist das aber bei weitem nicht. Von einem großen kulturpolitischen Wurf, wie bei der Opernreform, ist er darum weiter entfernt als er vielleicht ahnt.