Lehrer flüchten vor Joblosigkeit

Die GEW protestiert gegen schlechte Einstellungspraxis. Statt der geplanten 1.000 Lehrerstellen sollen nur 160 neu besetzt werden. Der Generationswechsel an den Schulen lässt auf sich warten

VON SABINE AM ORDE

Schwer bepackt sollen sie kommen. Mit Rucksäcken, Koffern und Kartons beladen. Mit allem, was man so mitschleppt, wenn man Berlin verlassen will. Für immer. So zumindest stellt sich die Bildungsgewerkschaft GEW ihre heutige Protestaktion am Bahnhof Zoo vor. Junge LehrerInnen sollen in andere Bundesländer abreisen – nur symbolisch natürlich. Denn in Berlin finden sie keinen Job. Damit will die Gewerkschaft auf die schlechte Einstellungssituation in den Berliner Schulen aufmerksam machen.

In der Tat ist hier vom viel beschworenen Generationswechsel noch nichts zu spüren. Dabei steht eine riesige Pensionierungswelle in der überalterten Berliner Lehrerschaft unmittelbar bevor. Nach einer Prognose der Bildungsverwaltung muss das Land trotz sinkender Schülerzahlen in den kommenden Jahren jährlich um die tausend LehrerInnen einstellen, damit es auch künftig genug Personal gibt. Das sollte allerdings bereits für das kommende Schuljahr 2005/2006 erstmals der Fall sein. Doch davon ist jetzt nicht mehr die Rede. Lediglich 160 Neueinstellungen sind derzeit geplant.

Weitere Angaben will Bildungssenator Klaus Böger (SPD) derzeit nicht machen. Der konkrete Einstellungsbedarf werde derzeit noch ermittelt, er soll erst im Frühjahr veröffentlicht werden. Doch Böger räumt einen „massiven Prognosefehler“ seiner Verwaltung ein. Das habe unter anderem zwei Gründe: Weniger LehrerInnen als erwartet hören bereits mit 58 Jahren auf zu arbeiten. Zudem wechseln zahlreiche PädagogInnen aufgrund der Gehaltskürzungen der letzten Jahre wieder von Teilzeit- auf Vollzeitstellen.

Rechnerisch hat Böger deshalb nicht zu wenig LehrerInnen, sondern 500 zu viel. Der Überhang soll bis zum Spätherbst abgebaut sein. Vorher eingestellt werden darf nur, wenn in einer Schule ein Fachlehrer fehlt, es diesen im Überhang aber nicht gibt. 160 Stellen sind dafür bewilligt.

Konsequenzen hat das vor allem für die Grundschulen. Weil das Einschulungsalter vorgezogen wurde, kommen nach den Sommerferien 13.000 Kinder mehr in die erste Klasse. Rund 630 zusätzliche LehrerInnen sind dafür nötig, die meisten sollten neu eingestellt werden. Jetzt werden PädagogInnen von den Mittelstufen in die Grundschulen versetzt.

Die GEW befürchtet zudem, dass die zahlreichen Reformvorhaben, die das neue Schulgesetz vorsieht, nicht mit ausreichend Personal ausgestattet sind. „Um sie erfolgreich umzusetzen, brauchen wir zusätzliche Lehrkräfte“, fordert GEW-Landeschef Ulrich Thöne. Dies hält Böger für unbegründet. Der personelle Bedarf der wichtigen Reformen würde stellenmäßig abgesichert, sagt der Senator.

Die Gewerkschaft warnt außerdem davor, dass dem Land bald ein Lehrermangel droht. „Mittelfristig wird Berlin Mühe haben, den Bedarf zu decken“, sagt Matthias Jähne, der für Lehrerbildung zuständige GEW-Referent. Denn nicht nur in Berlin, bundesweit steht ein Generationswechsel in den Schulen bevor, die Nachfrage nach Lehrkräften wird in den kommenden Jahren stark ansteigen. Manche Bundesländer haben bereits versucht, mit Werbekampagnen LehrerInnen aus anderen Bundesländern anzuwerben. Dort seien die Arbeitsbedingungen für LehrerInnen häufig besser als in Berlin, sagt Jähne.

Gleichzeitig wird vielerorts die Lehrerausbildung heruntergefahren. Das ist auch in Berlin der Fall. Im Rahmen der Hochschulverträge verhandelt der Senat um 850 AbsolventInnen im Jahr. „Das reicht nicht aus“, meint nicht nur die GEW, sondern auch die grüne Hochschulexpertin Lisa Paus. Nur wer genügend qualifizierte LehrerInnen ausbilde, könne auf Qualitätsverbesserung an den Schulen hoffen. Paus warnt davor, das drohende Loch mit Quereinsteigern und Schulassistenten ohne ausreichende pädagogische Ausbildung stopfen zu wollen.

Unterdessen ist der Bildungssenator von dem immerwährenden Streit um die Lehrerausstattung genervt. Deshalb hat er jetzt die Ausstattung jeder einzelnen Schule ins Internet stellen lassen. Dort kann man sehen, wo wie viel Personal wirklich zur Verfügung steht. Böger: „Mit diesem exakten Überblick können sich Schüler, Lehrer und Eltern unmittelbar über die Versorgung an ihrer Schule informieren.“ Und sich mit Bezirk und Land darüber auseinander setzen.