200 Beschwerden bei der Wahl im Irak

Die Wahlkommission spricht von zahlreichen Unregelmäßigkeiten bei dem Urnengang vom 30. Januar. In der Region um Mossul blieben zahlreiche Wahllokale geschlossen, in einem Ort konnten 15.000 Menschen ihre Stimme nicht abgeben

AUS ARBIL INGA ROGG

Bei den Wahlen im Irak hat es Unregelmäßigkeiten gegeben. Das hat die Unabhängige Wahlkommission mittlerweile eingeräumt. Wie gravierend diese sind, lässt sich derzeit aber nicht abschätzen. Etwa 200 Beschwerden sind bis zum Stichtag am Sonntag bei der Kommission eingegangen. Etliche betreffen die Provinzen um Kirkuk und Mossul mit ihrem ethnischen und religiösen Mosaik aus Kurden, Arabern, Turkmenen, Christen und Jesiden.

In teils harschen Tönen beschuldigten sich Vertreter der verschiedenen Gemeinschaften in den Tagen nach der Wahl gegenseitig des Wahlbetrugs. In Mossul beklagten Kurden und Christen gleichermaßen, dass zehntausenden ihrer Wähler das Stimmrecht verwehrt worden sei, weil die Wahlunterlagen nicht rechtzeitig eintrafen. Christen warfen den Kurden vor, sie gewaltsam am Urnengang gehindert zu haben.

Nach Angaben der Wahlkommission hatten in der Provinz Niniveh um Mossul tatsächlich nur 93 von 330 Wahlzentren geöffnet. In Batala bei Mossul hatte kein einziges Wahllokal offen, so dass rund 15.000 Stimmberechtigte nicht wählen konnten. In anderen Orten wurden Wahllokale von Bewaffneten überfallen und geplündert. An etwa zehn Prozent der aus Mossul stammenden Urnen stellte die Kommission zum Teil schwer wiegende Manipulationen fest. Darüber hinaus versuchten Bewaffnete, Wahlhelfer durch Bestechung zu beeinflussen. Die Christlich-Demokratische Assyrische Bewegung hat deshalb eine Neuwahl gefordert. Bei einem Treffen am Dienstag wollten die Vertreter der verschiedenen Ethnien einen Ausweg aus der Krise finden.

Nicht geäußert hat sich die Wahlkommission bislang zu den gegenseitigen Anschuldigungen von Kurden und Turkmenen in Kirkuk. Nach kurdischen Medienberichten hat dort die kurdische Liste „Brüderlichkeit“ bei den Provinzwahlen zwei Drittel der Stimmen geholt. Namhafte Turkmenen werfen den Kurden vor, sich den Wahlsieg erschlichen zu haben, indem sie tausende Wähler in die Stadt brachten, die nicht zum Kreis der wahlberechtigten Vertriebenen gehörten.

Landesweit halten die Kurden mit ihrer „Kurdistan-Koalition“ derzeit den zweiten Platz in der Wählergunst. Nach der Auszählung von etwa der Hälfte aller Stimmzettel hat der große Schiiten-Block „Vereinigte Irakische Allianz“ seinen Vorsprung leicht eingebüßt. Mit über 60 Prozent liegt er aber immer noch weit vorne. Überraschend hat die schiitische Allianz auch in der Provinz Salahaddin mit den Städten Tikrit und Samarra eine Mehrheit errungen. Nach Auszählung von 80 Prozent der Stimmen führt sie hier mit mehr als 27.000 Stimmen vor der Kurdistan-Koalition, die knapp 19.000 der Stimmen erhielt. Die Liste von Interimspräsident Ghasi al-Jawar liegt an der dritter Stelle, gefolgt von Allawis Bündnis. Allerdings gingen in der Provinz, die zum Teil geschlossene kurdische Gebiete, aber auch Regionen von turkmenischen Schiiten umfasst, nur 125.000 Wähler zur Wahl.

Noch liegen aus den Regionen mit sunnitisch-arabischer Mehrheit keine Wahlergebnisse vor. Doch scheint sich ein Trend abzuzeichnen, dass sie dem Urnengang weitgehend ferngeblieben sind. Hinter den Kulissen verhandeln Vertreter der schiitischen und kurdischen Allianzen bereits über das Kabinett. Die Schiiten wollen den Ministerpräsidenten stellen, den kurdischen Politiker Dschalal Talabani drängt es ins Präsidentenamt. Da die drei höchsten Ämter zwischen arabischen Sunniten, Schiiten und Kurden paritätisch vergeben werden sollen, würde ein Sunnit Parlamentssprecher.