Neun Fragen zu zwei Grünen

VON ULRIKE HERRMANN
UND LUKAS WALLRAFF

Die Schonzeit für Joschka Fischer ist vorbei. Der beliebteste Politiker der Republik sieht sich massiven Angriffen ausgesetzt – zum ersten Mal seit den Debatten über seine Steinwerfer-Zeit, die vor vier Jahren für Schlagzeilen sorgten. Diesmal ist seine Visa-Politik umstritten. Die Union hat einen Untersuchungsausschuss im Bundestag durchgesetzt.

Was wird Fischer vorgeworfen?

1. Der Außenminister habe den Schleusern einige Boomjahre beschert. Er sei verantwortlich für einen Visa-Erlass vom 3. März 2000, der die illegale Einwanderung aus Osteuropa beförderte.

2. Das Auswärtige Amt habe Warnungen etwa des Bundesinnenministeriums oder des Bundeskriminalamtes allzu lange ignoriert.

3. Fischer schweige, statt sich zu erklären.

Nur der letzte Punkt ist unumstritten: Der Außenminister äußert sich momentan tatsächlich nicht. „Fischer wird reden, wo es richtig ist, nämlich im Untersuchungsausschuss“, erklärte Grünen-Parteichef Reinhard Bütikofer. Wann Fischer geladen wird, ist unklar. Allerdings gehört es zu den Gepflogenheiten aller Untersuchungsausschüsse, zunächst die unteren Verwaltungsebenen zu befragen – und die politisch Verantwortlichen als letzte Zeugen aufzurufen.

Der Erlass: Wer profitierte?

Der Erlass galt weltweit für alle deutschen Botschaften. Visa-Anträge sollten weniger bürokratisch und „im Zweifel für die Reisefreiheit“ entschieden werden. Die Zahl der erteilten Visa erhöhte sich jedoch nicht gewaltig. 1998 wurden weltweit 2,5 Millionen Visa ausgegeben; 2000 waren es 2,6 Millionen, 2001 rund 2,75 Millionen und 2002 wieder knapp 2,6 Millionen Visa. 2003 sank die Visazahl auf den Stand von 1998: knapp 2,5 Millionen.

Der Erlass hat also bewirkt, dass pro Jahr maximal 250.000 Menschen mehr ein Visa für Deutschland erhalten haben, als sonst zu erwarten gewesen wäre. Markant: Diese Steigerungsrate lässt sich weitgehend auf die Visapraxis in vier Botschaften zurückführen – in Kiew, Moskau, Priština und Tirana.

Wie groß war der Missbrauch?

Das wird sich nicht ermitteln lassen. Denn viele der zusätzlich Eingereisten dürften normale Touristen gewesen sein, die tatsächlich Bekannte besuchen wollten. Allerdings ist unbestritten, dass es massive Schleuserkriminalität gab – vor allem in der Ukraine. In Kiew schnellte die Zahl der erteilten Visa von 133.420 im Jahr 1998 auf 297.391 im Jahr 2001. Viele Antragsteller legten so genannte Reiseschutzpässe des schwäbischen Geschäftsmannes Heinz Kübler vor. Die Idee: Es wurde kein deutscher Bürge mehr gebraucht, stattdessen übernahm eine Versicherung die eventuellen Kosten für Krankheit oder Ausweisung. Legendär ist inzwischen das Verfahren gegen den eingebürgerten Ukrainer Anatoli Barg, der zwischen August 2000 und Mai 2002 knapp 7.000 Menschen nach Deutschland geschleust hat. Der Kölner Richter Ulrich Höppner gewährte ihm einen „Strafrabatt“, denn er erkannte „schweres Fehlverhalten“ auch beim Auswärtigen Amt. Der Erlass sei „ein kalter Putsch gegen die bestehende Rechtslage“ gewesen. Dieses Urteil erging im Februar 2004 – seither beschäftigt sich der Bundestag mit der Visaaffäre. Erst in Debatten und mit Anfragen der Opposition, nun im Untersuchungsausschuss.

Warum wurden Warnungen ignoriert?

Das ist der heikelste Punkt. Auch der grüne Obmann im Untersuchungsausschuss Jerzy Montag leugnet nicht, dass es „unbestreitbare Missstände“ gab, die „in aller Akribie“ aufzuklären seien. So hat die Botschaft in Kiew seit 1999 immer wieder vor Schleuserkriminalität gewarnt. Auch das Bundeskriminalamt warnte mehrmals konkret. Grundsätzliche Sorgen hingegen hegte Bundesinnenminister Otto Schily. Er sah vor allem das Schengen-Abkommen verletzt, wie er Fischer im März 2000 schriftlich informierte. Die Union hofft nun, dass es im Untersuchungsausschuss zu einem Eklat zwischen Außen- und Innenministerium kommen könnte.

Die Regierung hingegen gibt sich gelassen: Schily werde nicht als „Kronzeuge“ im Untersuchungsausschuss auftreten. Und überhaupt sei der Brief eher ein Missverständnis, denn der Erlass habe niemals gegen das Schengen-Abkommen verstoßen. Zudem bestreitet das Außenministerium, dass es lange untätig blieb: So wurde im Juli 2001 das Reisebüroverfahren abgeschafft – das schon die Regierung Kohl eingeführt hatte. Wer nach Deutschland wollte, musste nun wieder persönlich bei der Botschaft vorsprechen. Auch die Reiseschutzpässe der Firma Kübler, im Mai 2001 zugelassen, wurden in Kiew im Februar 2002 nur noch kontingentiert akzeptiert und ab März gar nicht mehr angenommen.

Welche Rolle spielte Ludger Volmer?

Keine Frage: Der damalige grüne Staatsminister im Auswärtigen Amt hat den Erlass vom März 2000 angeregt – so stellt er es auch breit auf seiner Homepage dar. Gleich nach seinem Amtsantritt 1998 habe er „zahlreiche Zuschriften“ von empörten Bürgern sowie von Abgeordneten „aller Fraktionen“ bekommen, die sich über eine rigide Visapraxis und „haarsträubende Härtefälle“ beschwerten. Volmer entschloss sich, tätig zu werden. Auf einer Pressekonferenz am 8. März 2000 stellte er dann die Neuregelung vor, die deswegen lange „Volmer-Erlass“ genannt wurde. Die Union spricht inzwischen lieber vom „Fischer-Erlass“.

Tatsächlich trägt der Außenminister die politische Verantwortung, wie sich aus dem Wortlaut des Erlasses erkennen lässt: „Bundesminister Fischer (hat) Weisung erteilt, das Verfahren der Visumerteilung zu verbessern.“ In der Verwaltungshierarchie ist nur der Minister gegenüber den Beamten weisungsberechtigt, nicht jedoch ein politischer Staatsminister.

Was haben Volmers Privatgeschäfte mit der Affäre zu tun?

Aus Sicht der Grünen nichts, aus Sicht der Union sehr viel. Volmer umwehe „der Modergeruch der Korruption“, sagte CDU-Ausschuss-Obmann Eckart von Klaeden. Dahinter steckt der Verdacht, der Ex-Staatsminister habe sich möglicherweise für den Erlass finanziell entlohnen lassen. Anhaltspunkt: Volmer hat später nebenberuflich die Bundesdruckerei beraten, also ausgerechnet jene Firma, die Küblers Reiseschutzpässe hergestellt hat. „Ein Sachverhalt, der abenteuerlich ist“, monierte der CSU-Ausschuss-Vorsitzende Hans-Peter Uhl.

Volmer bestreitet jedoch jeglichen Zusammenhang zwischen dem Erlass und seiner späteren Beratertätigkeit. Während seiner Zeit als Staatsminister von 1998 bis 2002 habe es „keine Berührung“ zwischen der Bundesdruckerei und ihm gegeben, zu einem ersten Kontakt sei es erst „ein halbes Jahr nach meinem Ausscheiden aus dem Auswärtigen Amt“ gekommen.

Klar ist: Die Bundesdruckerei hat zwischen April 2001 und Juli 2002 rund 170.000 Reiseschutzpässe für die Firma Kübler gedruckt. Dafür bekam sie 234.000 Euro – nicht allzu viel, verglichen mit dem Jahresumsatz der Bundesdruckerei von etwa 280 Millionen Euro. Einen konkreten Zusammenhang zwischen Volmers Beratertätigkeit und dem Erlass von 2000 hat auch die Union bisher nicht herstellen können.

Was weiß man über Volmers Beratungstätigkeit?

Kurz nach seinem Dienstende als Staatsminister hat Volmer 2003 die Beratungsfirma „Synthesis“ mitgegründet, die vor allem für die Auslandsabteilung der Bundesdruckerei „International Services“ tätig war. Wie Volmer erklärte, sollte er Investments „in Schwellen- und Transformationsländern“ wie Südafrika, Vietnam und Afghanistan vermitteln. Die Bundesdruckerei bietet unter anderem fälschungssichere Personaldokumente an. Volmer sollte nach eigenem Bekunden „den Zugang zu den Partnern in den Zielländern finden“ und die Bundesdruckerei über „die politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen informieren“. Für diese Beratungstätigkeiten soll Volmers Firma 2003 und 2004 rund 400.000 Euro bekommen haben – diese Summe wurde bisher weder bestätigt noch dementiert. Volmer erklärte lediglich, er selbst habe 2004 „weniger als 18.000 Euro“ verdient und seinen Nebenjob ordnungsgemäß beim Bundestagspräsidenten angemeldet.

Wofür Volmers Dienste genau bezahlt wurden, ist allerdings unklar. Zu einer erfolgreichen Geschäftsanbahnung sei es jedenfalls nicht gekommen, erklärt die Bundesdruckerei. „Es gab keinen konkreten Abschluss“, sagte eine Sprecherin der taz. Sie betonte aber: „Die Bundesdruckerei zahlt grundsätzlich nur branchenübliche Honorare.“ Diese könnten „auf den ersten Blick überraschend hoch ausfallen“, weil „auch Reisekosten und Spesen integriert“ seien. Die Union hält die Auskünfte für unbefriedigend und will Volmers Nebentätigkeiten im Untersuchungsausschuss „in allen Details sezieren“.

Warum wird Volmers Nebentätigkeit auch in den eigenen Reihen kritisiert?

Volmer ist seit 2002 außenpolitischer Sprecher der grünen Bundestagsfraktion. Insbesondere in Volmers Heimatverband Nordrhein-Westfalen wird moniert, Volmer habe dieses Amt für seine privaten Geschäfte missbraucht.

Volmer weist auch diesen Vorwurf zurück: „Das Trennungsgebot von privatwirtschaftlicher Tätigkeit und Mandatstätigkeit habe ich erfüllt.“ Auf Reisen, die vom Bundestag finanziert wurden, sei er keinen privaten Geschäften nachgegangen. Er könne allerdings „nirgendwo verheimlichen, dass ich Staatsminister a. D. und Mitglied des Bundestags bin“. Dafür sei er in den Zielländern „und insbesondere bei den Regierungsstellen, die sich als Gesprächspartner anbieten, zu bekannt“.

Klar ist: Volmer hat seine Nebentätigkeit ordnungsgemäß beim Bundestagspräsidenten angemeldet, die Öffentlichkeit aber nicht über seine geschäftlichen Aktivitäten im Ausland informiert. Im Gegenteil: Sein Wahlkreisbüro stellte Geschäftsreisen als politische Missionen dar.

Einige Grüne in NRW fragen sich nicht nur deshalb, wie Volmer Politik und Geschäft strikt getrennt halten kann. Schließlich sage er ja selbst, dass er für die Bundesdruckerei „den Zugang zu den Partnern in den Zielländern finden“ sollte. Mit genau diesen Regierungen führte er aber auch politische Gespräche.

Wie geht die Grünen-Spitze mit Volmers Nebenjob um?

Volmer habe alle Regeln eingehalten, die für Nebentätigkeiten von Abgeordneten gelten, betonen sämtliche grünen Spitzenfunktionäre. Für personelle Konsequenzen sieht man keinen Anlass. Stattdessen wird die Union beschuldigt, sie führe „eine Kampagne, die an gewerbsmäßige Verleumdung grenzt“. Bütikofer gab als Devise aus: „Die Tatsache, dass die Union auf Ludger Volmer einprügelt, ist kein Argument dafür, ihn hängen zu lassen.“