„Ich fürchte, die Freude ist verfrüht“

Der israelische Politologe Hillel Frisch hält den Gipfel in Scharm al-Scheich für „Theater“, weil Scharon und Abbas nicht die Vorgaben der Roadmap für den Frieden erfüllen

taz: Herr Frisch, mit Ihrer Forschungsarbeit begleiten Sie den Weg der Palästinenser vom Exil zur Autonomieverwaltung. Sind die Palästinenser mit dem Friedensschluss von Scharm al-Scheich ihrem Staat nun endlich näher gekommen?

Hillel Frisch: Ich fürchte, die Freude ist verfrüht. Ich will Ihnen ein Beispiel nennen: Erst vorgestern haben fünf palästinensische Familien ihre eigene Ortsverwaltung angegriffen. Sie vertrieben die Polizei und forderten von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas sofortige Aufklärung über den Tod ihrer Söhne, die offenbar in einen Bandenstreit verwickelt waren. Die Situation war absurd. Denn diese Familien haben mit dem Sturm auf die Verwaltung die Erklärung selbst geliefert: Die palästinensischen Sicherheitskräfte sind vollkommen machtlos. Ich frage mich deshalb, ob dieses ganze Theater in Scharm al-Scheich nicht sinnlos ist.

Warum?

Jedem wirklichen Fortschritt müsste ein Wiederaufbau der palästinensischen Sicherheitskräfte vorausgehen. Was in Scharm al-Scheich passiert, ist insofern wichtig, als Abbas international gestärkt wird. Doch weit wichtiger wäre jetzt die Stärkung der Palästinenserverwaltung von innen.

So ganz machtlos scheint Abbas nicht zu sein, schließlich ist es ihm gelungen, den Raketen-Beschuss auf israelisches Gebiet zu unterbinden.

Das kann sich schnell wieder ändern, sobald wir zu den wirklich wichtigen Punkten der Verhandlungen kommen.

Zum Beispiel?

Israel fordert die Entwaffnung, aber nicht die Auflösung der militanten Palästinenserfraktion. Das aber schreibt der internationale Friedensplan – die „Road- map“ – vor. Umgekehrt soll Israel die Truppen bis dorthin zurückziehen, wo sie bis zum Beginn der Al-Aksa-Intifada Ende September 2000 stationiert waren.

Dann vermuten Sie also, dass dieses Gipfeltreffen wie alle Gipfeltreffen zuvor zu nichts führen wird?

Ich bin sicher, dass das diesmal wieder so ist. Natürlich wird zumindest auf kurze Zeit der Waffenstillstand, die Hudna, halten. Beide Völker sind einfach erschöpft. Trotzdem glaube ich, dass das internationale Aufsehen, das der Gipfel erregt, gemessen an dem, was tatsächlich passiert, völlig unangemessen ist. Ich wundere mich überhaupt darüber, dass Israel dieses Spiel mitspielt und Abbas als einen so starken Mann gelten lässt.

Welches Kalkül sollte denn dahinterstecken?

Ich nehme an, dass Scharon das tut, weil er an die Durchsetzung seines Abzugsplans aus Gaza denkt. Man kann nur hoffen, dass das nicht auf ihn zurückfällt. Denn wenn Israel Abbas zu sehr aufbaut, den Prozess zu schnell vorantreibt und dabei die wesentlichen Probleme übersieht – nämlich dass der Sicherheitsapparat noch nicht funktioniert –, dann kann das der Sache eher schaden.

Warum halten Sie Abbas für so schwach? Immerhin ist er mit deutlich über 60 Prozent der Stimmen gewählt worden.

Das aber von nur 45 Prozent der Bevölkerung, mehr haben an den Wahlen ja nicht teilgenommen.

Beide Seiten sind sich nun einig über einen Waffenstillstand und über den Abzug aus dem Gaza-Streifen. Was meinen Sie, kommt dann?

Danach hängt alles davon ab, wie weit Abbas es schafft, die militanten Gruppen zu entwaffnen. Gelingt ihm das, wird es einen politischen Prozess geben, also die Umsetzung der Roadmap.

Glauben Sie, dass Scharon seine aktuelle Regierungskoalition zu Kompromissen überreden könnte, etwa bei der Aufteilung Jerusalems?

Das wird kaum möglich sein. Aber bevor wir so weit sind, werden erst einmal Wahlen abgehalten. INTERVIEW: SUSANNE KNAUL