Mikroben mit Erdbeergeschmack

Nordrhein-Westfalens Wissenschaftsministerin Hannelore Kraft schaute in den Laboren der Fachhochschule Lippe und Höxter vorbei. Die Professoren konservieren Salamigerüche, imitieren Erbeeraromen und pusten Pfeffersäckchen sauber

AUS LEMGO HOLGER ELFES

„Bald wird es einerseits nur noch sehr teure und exquisite und andererseits einfache und billige Lebensmittel geben“ – Achim Stiebing blickt nach vorn. Der Dekan am Fachbereich Lebensmitteltechnologie der Fachhochschule Lippe und Höxter prophezeit düstere Zeiten für mittel teure, aber qualitativ noch recht hochwertige Produkte. Beim Besuch von Nordrhein-Westfalens Wissenschaftsministerin Hannelore Kraft (SPD) am Standort Lemgo ging es um die Zukunft. Wie die neue Welt des Designfoods aus dem Discounter-Regal aussehen könnte, zeigte auch ein Blick in die FH-Labore: In der Lemgoer Lebensmitteltechnologie lehren und forschen landesweit die meisten Fachleute aus der Lebensmittelprozessierung und -analytik .

In Stiebings Fachgebiet etwa, der die Haltbarkeit und Sicherheit von Fleischerzeugnissen erforscht, geht es um die geschmackliche Aufwertung von Tiefkühlpizza. Das Fleisch für die Salami-Auflage stammt dabei in der Regel nicht vom Biobauernhof, sondern meist aus der Massentierhaltung, bei der es um eine möglichst schnelle Gewichtszunahme der Tiere geht. Und der dadurch unnatürlich hohe Fettanteil im Fleisch führt zum schnelleren Verderben. Das riecht man, wovon sich auch die Ministerin beim „Schnüffeltest“ überzeugen konnte.

Die Lemgoer Wissenschaftler versuchen nun, die Lagerstabilität des Produkts zu verbessern. Dabei geht es nicht um das Abtöten schädlicher Keime, sondern um die Verlangsamung der Fett-Oxidation. Zur Zeit sucht die Forscher nach Zusätzen oder Verarbeitungsverfahren, um den ranzigen Geruch von der Pizza möglichst lange fern zu halten. Die näher liegende Alternative – artgerecht erzeugtes und damit besseres Fleisch zu verwenden – kommt nicht in Frage: „Der damit verbundene höhere Preis lässt sich auf dem Markt nicht durchsetzen“, meinte Stiebing. Zustimmung kam dazu auch vom Abgesandten der Firma „Dr. Oetker“: Der Bielefelder Lebensmittel-Multi unterstützt als Wirtschaftspartner die Forschung an der FH.

Um besseren Geschmack geht es auch Herbert Binder. Der Biotechnologe arbeitet an der Erzeugung von Aromastoffen, die nicht das verkaufsschädliche Attribut „künstlich“ tragen. Am Lehrstuhl Binder reifte deshalb der Gedanke, ein preiswertes Abfallprodukt der Milchwirtschaft für die Produktion von Aromen zu nutzen: Denn die in großen Mengen anfallende Molke ist ein idealer Nährboden für Mikroorganismen, die dazu gezüchtet werden, alle möglichen Gerüche und Geschmäcker zu produzieren. Von Erdbeere bis Zimt könnte das Spektrum der so „natürlich“ hergestellten Aromastoffe reichen. Der bei heutigen Geschmacksverstärkern vorkommende China-Restaurant-Effekt, hervorgerufen durch das enthaltene Glutamat, soll bei den in Lemgo entwickelten Stoffen ausgeschlossen sein. Und vielleicht kommt so demnächst der blasse Gewächshaus-Tomatensalat preiswert zu einem knackigen Geschmack aus der Molke.

Auch eine Reihe sinnvoller Entwicklungen wird in Lemgo vorangetrieben. Etwa bei der Haltbarmachung von Gewürzen. Die Bestrahlung mittels ionisierender Strahlen wird heftigst diskutiert, ist in Deutschland verboten und wird letztendlich von den Verbrauchern ebenso wenig akzeptiert wie ein zwar wirksames, aber krebsverdächtiges chemisches Verfahren. Und so wird auch der Inhalt kleiner Gewürzpackungen – trotz einer das Produkt schädigenden keimtötenden Hocherhitzung – schnell schlecht. Besser für das Gewürz und die Haltbarkeit soll das so genannte „Lemgoer Sattdampfentkeimungsverfahren“ sein, bei dem die Mikroorganismen auf Pfeffer oder Paprika nicht abgetötet, sondern sanft bei vergleichsweise niedriger Temperatur herunter gepustet werden. Effekt verstärkend bei dem von Ulrich Müller vorangetriebenen Verfahren wirkt dann noch der Einsatz von Ultraschall.

Vielversprechend ist auch die Entwicklung einer vollautomatischen Destille, die es gerade kleineren oder Nebenerwerbs-Brennern von Spirituosen erlauben soll, qualitativ hochwertige Schnäpse herzustellen. Die Ministerin und ihre mitgereiste Delegation konnte sich erfreuen an einem hervorragenden Pflaumen-Brand. Genauso geht es den Konsumenten der Produktion aus mittlerweile 20 verkauften Exemplaren der 60.000 Euro teuren High-Tech-Destille. Nur die Fachhochschule hat leider nichts von dem Verkaufsrenner, die Entwickler hatten es versäumt, sich rechtzeitig die Patente an der Destille zu sichern.

Hannelore Kraft forderte die Professoren deshalb auf, demnächst auch an die geldwerten Früchte ihrer Forschungsarbeit zu denken: „Melden Sie Patente an, lassen Sie ihr Know-how vertraglich absichern, so dass Sie am Gewinn aus kooperativ entwickelten Produkte beteiligt sind.“ Denn der Landeshaushalt, so die Ministerin weiter, „wird nicht üppiger.“