Ein Jahrzehnt Enttäuschung

Nach zehn Jahren grüner Regierungsbeteiligung ziehen NRWs Anti-Atom-Initiativen ein bitteres Fazit: Die Partei habe sich aus der Anti-AKW-Bewegung verabschiedet. Statt Protest herrsche Schweigen

„CDU oder Grüne? Besser ehrliche Feinde als meuchelnde Freunde!“

AUS AHAUSANDREAS WYPUTTA

Eine riesige Lagerhalle am Rand des Münsterlands, gut gesichert durch massive Stahltore und hohe Drahtzäune. Wer das Gelände des Brennelemente-Zwischenlagers Ahaus (BZA) betritt, bleibt keine Minute allein. Ob er helfen könne, fragt Michael Ziegler freundlich, aber bestimmt. Ziegler ist für die Öffentlichkeitsarbeit des BZA verantwortlich, will keine schlechte Presse: Von den über 400 Stellplätzen sind gerade 50 belegt, etwa durch radioaktiven Müll aus dem nach einem Unfall stillgelegten Thorium-Hochtemperaturreaktor in Hamm. Doch das soll sich bald ändern. Nach der Landtagswahl sollen wieder Castoren rollen – diesmal aus dem stillgelegten DDR-Forschungsreaktor Rossendorf bei Dresden. Der Inhalt: Über zwei Kilogramm hochgiftiges Plutonium, über 100 Kilo radioaktives Uran 235 und 237.

Szenenwechsel: Passend zum politischen Aschermittwoch ziehen Vertreter der Anti-Atom-Initiativen aus dem Münsterland in der gutbürgerlichen Kneipe „Am Schulzenbusch“ eine Bilanz zehn Jahre grüner Regierungsbeteiligung in Nordrhein-Westfalen – und die ist bitter. „Der Atomausstieg ist ferner denn je“, sagt Felix Ruwe von der Bürgerinitiative Kein Atommüll in Ahaus. Matthias Eickhoff, Sprecher des Widerstands gegen Atomanlagen aus Münster, geht noch weiter: „Die Landesregierung arbeitet nicht ernsthaft an einem Atomausstieg“, ist er überzeugt. Stattdessen spiele die Düsseldorfer Koalition aus SPD und Grünen auf Zeit. Direkt nach der Landtagswahl, zwischen dem 30. Mai und dem 14. Juni, sollen die Rossendorfer Castoren nach Ahaus rollen, sind die beiden Aktivisten überzeugt – frühere Transporttermine seien wohl aus Wahlkampfgründen verschoben worden. Bereits seit April vergangenen Jahres liefen polizeitaktische Gespräche mit den sächsischen Behörden.

Ein paar Kilometer nördlich steht das nächste grüne Identitätsproblem: Die Urananreicherungsanlage (UAA) Gronau. Derzeit kann der Betrieb jährlich 1.800 Tonnen Atombrennstoff anreichern, das entspricht dem Bedarf von 15 großen Atommeilern. Die Betreiberfirma Urenco aber hat eine Erweiterung der Kapazität auf 4.500 Tonnen jährlich beantragt. „Dabei ist das Gelände nicht gegen Flugzeugabstürze oder ähnliche Katastrophen gesichert“, sagt Udo Buchholz vom Gronauer Arbeitskreis Umwelt. „Selbst der Betreiber räumt ein, dass dann mit Todesfällen im Nahbereich der Anlage zu rechnen wäre.“

„Die Landesregierung arbeitet nicht ernsthaft an einem Atomausstieg“

Dennoch scheint Rot-Grün auf stur geschaltet zu haben – bis zur Landtagswahl soll das Problem mit der Atomenergie ausgesessen werden. „Wir haben alle grünen Minister angeschrieben: In Berlin Umweltminister Jürgen Trittin und Außenminister Joschka Fischer, in Düsseldorf Umweltministerin Bärbel Höhn genauso wie den stellvertretenden Ministerpräsidenten Michael Vesper“, klagen Eickhoff und Ruwe. Geantwortet habe niemand, ebensowenig wie die Sozialdemokraten. Ministerpräsident Peer Steinbrück schweigt genau wie sein Energieminister Axel Horstmann – und CDU-Oppositionsführer Jürgen Rüttgers. Warum die labilen Brennelemente, deren Sicherheit allein die Castor-Behälter garantieren sollen, nach 40 Jahren mit Millionenaufwand von Rossendorf nach Ahaus transportiert werden müssen, will offiziell niemand beantworten. Forschungsreaktoren seien im Atomkompromiss, den Rot-Grün in Berlin wieder aufschnüren will, schlicht vergessen worden, ist in Düsseldorf zu hören.

Die Anti-Atom-Initiativen wollen kämpfen, die Castoren durch bundesweite Protestaktionen verhindern – und mahnen im Wahlkampf klare Aussagen zu Ahaus, Gronau und dem ebenfalls weiter betriebenen Kernforschungszentrum Jülich an. Zwar sei die CDU keine Alternative, denkt nicht nur Felix Ruwe. „Aber ehrliche Feinde, die ganz offen den Wiedereinstieg in Atomenergie fordern, sind besser als meuchelnde so genannte Freunde.“