Bremen - eine Grenzerfahrung

Nach dem Ausbleiben der Bundeshilfen steht Bremens Überlebensfähigkeit als Stadtstaat zur Disposition. Dabei ist man sich an der Landesgrenze zwischen Bremen-Blumenthal und dem niedersächsischen Schwanewede längst einig: Kohl und Pinkel sind okay. Stadtstaaterei aber hat sich überholt

„Das ist doch Kleingeisterei, dass es Bremen überhaupt noch gibt“

von Klaus Irler

Von außen betrachtet hängt die Landesgrenze nur an ein paar Schrauben. „Freie Hansestadt Bremen“ steht auf dem kleinen ovalen Schildchen mit dem Stadtwappen. Gegenüber in Niedersachsen ist ein Wendeplatz für den Bus, daneben ist die Landstraße nach Schwanewede. Hier, an dieser Stelle, wird Niedersachsen zu Bremen-Blumenthal. „Die Leute merken das doch gar nicht, dass sie hier über die Landesgrenze fahren“ sagt der Einzelhändler in dem Fahrradgeschäft nebenan. „Was soll das denn alles noch?“ Stadtstaat hin, Bundesland her, klar, Bremen ist pleite. Aber die Probleme, findet der Geschäftsmann, lägen doch ganz woanders. Arbeitsplätze. Bildung. „Die Wirtschaft denkt global, und die Politik dackelt hinterher.“

Was für Bremens Politik derzeit nicht gilt. Es wird nicht gedackelt, sondern es herrscht hektische Bewegung im Stadtstaat, und das bedeutet: man sitzt. Im Senat. Im Koalitionsausschuss. Beim Finanzsenator. Prekäre Sitzungen sind es, eine nach der anderen, seit klar ist, dass der so genannte Kanzlerbrief nicht den erhofften Zuschuss des Bundes an Bremen bringt. Mit 549 Millionen Euro hatten die Bremer Politiker gerechnet und haben dieses Geld vorsorglich schon mal in den Haushalt 2005 eingeplant. Ende Januar nun war Bürgermeister Henning Scherf in Berlin und bekam von Gerhard Schröder zu hören, dass es keine 549 Millionen gibt. Schon gar nicht jährlich. Und dabei hatte Scherf im Jahr 2000 im Bundesrat für Schröders Steuerreform gestimmt und sich als Belohnung dafür die Finanzhilfen zusichern lassen. Schriftlich, aber rechtlich unverbindlich.

Jetzt heißt es: Kassensturz. „Sparen und Investieren“ war ja schon immer das Rezept des rot-schwarzen Bremer Senats, um den darnieder liegenden Stadtstaat wieder auf die Beine zu kriegen. Nun will man noch viel mehr sparen und das Investieren so weit als möglich sein lassen. „Wir stehen mit dem Rücken zur Wand“ sagt Finanzsentor Ulrich Nußbaum (parteilos) im Nordwestradio. „Wir sitzen in einem Zug, der mit Vollgas auf eine Wand zurast“ sagt Bildungssenator Willi Lemke (SPD). „Es gibt keine Alternative zu einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht“ sagt der SPD-Landesvorsitzende Carsten Sieling. Dabei ist der Präsident des Bundesverfassungsgerichts der Meinung, dass es perspektivisch „deutlich weniger, dafür aber ähnlich leistungsstarke Bundesländer geben“ müsse. Am Ende der Fahnenstange geht es um die Überlebensfähigkeit Bremens als eigenständigem Stadtstaat.

Der Bremer Stadtteil Blumenthal, Bremens äußerster Zipfel im Nordwesten, döst derweil unter einer klaren Februar-Sonne. Dabei wird hier die Frage nach der Abgrenzung manifest. Hier ist die Grenze Beton geworden. Straßenbeton. „An der Landesgrenze“ heißt die Straße, die hält, was sie verspricht: Links ist Niedersachsen. Rechts ist Bremen. Links ist die niedersächsische Kneipe „Total-Normal“. Rechts ist auf der ersten bremischen Hauswand ein Graffitti: „Dinosaur Jr.“ steht da. Eine Rock-Band aus den 1990ern, ambitioniert, viel dreckige Gitarren, aber nie wirklich berühmt geworden.

„Die Menschen hier sind mental Bremer“, sagt der Einzelhändler von der Grenze. Bremen, das bedeute hier „Freimarkt, Sechstagerennen und Kohl und Pinkel. Da kommt niemand auf die Idee, zum Schützenfest nach Hannover zu fahren.“ Merken würde man die Grenze allerdings beim Thema Schule. Immer wieder würden junge Familien auf der niedersächsischen Seite bauen, weil ihre Kinder dann in eine niedersächsische Schule gingen. Auch wenn der Weg weiter sei.

Aber ansonsten? Kommen in der Grenz-Straße eben zwei Postboten und zwei Straßenfeger. An der Landesgrenze stehen sich gedrungene Einfamilienhäuser neidlos gegenüber, den Blick ins Innere verwehren beiderseits Rüschengardinen, in den Vorgärten lagern rustikale Holzräder. Auf Bremer Seite hat ein Anwohner sowohl die Stadtmusikanten als auch das niedersächsische Ross an der Fertigbau-Garage angebracht. Für Ruhe und Sicherheit im Grenzgebiet sorgen runde Betonpoller in beeindruckender Häufigkeit: Schneller als 30 darf man nicht. Die Landesgrenze ist eine verkehrsberuhigte Zone.

Trotzdem ist die Landesgrenze auch ein Aufreger. „Das ist doch nur Kleingeisterei, dass es Bremen überhaupt noch gibt. Patex-Denken ist das“ hört man im Bistro des Golfclubs „Bremer Schweiz - Schwanewede e.V.“ Die Bremer Senioren im Golfclub sind es gewohnt, großflächiger zu denken, setzt sich ihr Golfplatz doch aus niedersächsischem und bremischem Areal zusammen. „Ich wohne in einer Straße mit zwei Namen: Der Bremer Teil heißt Weidestraße, der niedersächsische heißt Wiesenstraße“ erzählt einer. „Und weil die Grenze in der Mitte der Fahrbahn verläuft, fühlt sich weder Bremen noch Niedersachsen verantwortlich, die Straße in Stand zu halten. Wie in einer Bananenrepublik ist das.“

Aber das Land Bremen auflösen? Selbst für die Bremer Grünen, die Opposition im großkoalitionär regierten Bundesland, ist das keine Option. Bremen als Teil von Niedersachsen, vielleicht sogar als Teil eines Nordstaats aus Schleswig-Holstein, Hamburg, Bremen, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern, wie das kürzlich Brigitte Pothmer, die Landesvorsitzende der niedersächsischen Grünen, forderte – undenkbar. Der Kampf um die Eigenständigkeit ist das Leitmotiv der Bremer Geschichte. Außerdem wäre es mit einer Entscheidung der Politiker alleine nicht getan: Wollte man Bremen und Niedersachsen in einem Land aufgehen lassen, bedürfte es einer Volksabstimmung in beiden Ländern.

Wobei bei Umfragen innerhalb der Bremer Bevölkerung nie mehr als eine knappe Mehrheit für Bremens Eingenständigkeit zustande kam. „Die Frage aber ist: Würden wir die Bremer haben wollen?“ sagt eine niedersächsische Landesgrenzen-Anwohnerin über den Gartenzaun hinweg. Eine gute Frage. Bremen würde, das Kanzlerbrief-Debakel noch nicht eingerechnet, 11,6 Milliarden Euro an Schulden mitbringen. Dabei hat Niedersachsen selbst zu knapsen: Das Land wird 2005 21,6 Milliarden Euro ausgeben, aber nur 14,6 Milliarden Euro an Steuern einnehmen. Bereits beim Blindengeld wird gespart. Und die Verschuldung des Landes liegt bei 46 Milliarden Euro.

Vergleichsweise gut geht es da im Norden noch dem Stadtstaat Hamburg, wo für die Jahre 2005 und 2006 insgesamt 20,5 Milliarden Euro zur Verfügung stehen bei einer Gesamtverschuldung von rund 24,6 Milliarden Euro. In dem mit 21 Milliarden Euro verschuldeten Schleswig-Holstein ist man der Idee einer Fusion mit Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern gegenüber aufgeschlossen: Die Grünen sind dafür. Der schwarze Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten, Peter-Harry Carstensen, ist es auch: „Ich hätte nichts dagegen, der letzte Ministerpräsident von Schleswig-Holstein zu sein.“

In Bremen dagegen startet nun einmal mehr eine Spar-Debatte. Grundschullehrer-Gehalt, Arbeitszeiten im öffentlichen Dienst, die Standards für Behinderte – da ginge noch was, da liege man über dem Bundesdurchschnitt, sagt Wirtschaftssenator Peter Gloystein (CDU). Aber: „Dem normalen Arbeitnehmer passiert gar nichts.“ Der muss bloß nach wie vor ein neues Ticket lösen, wenn er per Bus nach Niedersachsen will. Ab Landesgrenze gilt Tarifstufe A.