„Man kann von einer Art Hinrichtung sprechen“

Im Fall der am Montag ermordeten Hatun S. hat die Polizei noch keine Hinweise auf einen möglichen Täter. Spekulationen über Ehrenmord bezeichnet die Polizei als Stimmungsmache. Hatuns Ausbilder sind geschockt

Rosen und Abschiedsbriefe liegen nahe der Bushaltestelle Oberlandgarten in Tempelhof auf dem Gehweg. „Auch deine Mörder werden sie fassen“, steht auf einem Zettel inmitten brennender Kerzen. Hier, nur einige hundert Meter von ihrer Wohnung entfernt, wurde am Montagabend gegen 21 Uhr die 23-jährige Deutsche Hatun S. von Unbekannten erschossen.

Eine heiße Spur hatte die Polizei gestern noch nicht. „Man kann von einer Art Hinrichtung sprechen“, so ein Ermittler zur taz. Die Darstellung einer Boulevardzeitung, die unter dem Titel „Ermordet, weil sie ihr Kopftuch wegwarf“ über eine religiös motivierte Tat spekuliert hatte, bezeichnete ein Beamter als „Stimmungsmache“. Auch André Rauhut, Leiter der Mordkommission, betont, es habe zwar wegen der selbstständigen Lebensweise der jungen Mutter den einen oder anderen Streit mit ihrer Familie gegeben, ein schwer wiegender Konflikt sei aber nicht bekannt.

Hatun wurde in Berlin als Kind türkischer Eltern geboren. Die arrangierten die Hochzeit mit einem Cousin in der Türkei, als Hatun 16 Jahre alt war. Sie habe ihren Mann zunächst geliebt, erzählte Hatun Ende 1999 der taz. Da war sie jedoch schon mit ihrem Sohn nach Berlin zurückgekehrt und lebte in einem Wohnheim für junge Mütter.

Nach Auskunft der Polizei war Hatun S. aktuell mit einem Mann türkischer Herkunft liiert. Dieser sei ausführlich vernommen worden und gelte nicht als Tatverdächtiger. Überprüft würden nun die früheren Freunde des Opfers und ihr Exmann. Da die Frau nicht beraubt wurde, geht die Polizei „relativ zwingend von einer Beziehungstat“ aus. Weitere Zeugen werden dringend gesucht.

Betroffenheit über Hatuns gewaltsamen Tod herrscht im „Ausbildungswerk Kreuzberg“ in der Köpenicker Straße. Sozial oder individuell benachteiligte junge Menschen werden hier für verschiedene Berufe ausgebildet und sozialpädagogisch betreut. Zusammen mit sechs weiteren Jugendlichen machte Hatun hier ihre Ausbildung zur Elektroinstallateurin. „Einen Teil ihrer Gesellenprüfung hatte sie bereits abgelegt, am 3. März wäre sie fertig gewesen“, sagt Hatuns sozialpädagogische Betreuerin. Namentlich genannt werden möchten sie und ihre Kollegen vom Ausbildungswerk nicht.

„Wir sind geschockt, wie gelähmt“, versucht Hatuns Ausbilder die Situation zu beschreiben. „Hatun kam im April 2000 über das Jugendamt zur Berufsvorbereitung zu uns. Ein halbes Jahr später unterschrieb sie ihren Ausbildungsvertrag“, erzählt ihre Betreuerin Marion*. Der Mord an Hatun ist Hauptgesprächsthema unter den Mitarbeitern und Auszubildenden. „Da sind so viele Erinnerungen, die hochkommen“, sagt Marion. Es sei „unfassbar, wie solch eine Gewalttat auf einmal so nahe kommen kann.“

An Spekulationen über ein mögliches Motiv für das Verbrechen möchten sie und ihre Kollegen sich nicht beteiligen. Über das Privatleben der 23-Jährigen wisse man nichts. Hatun habe Privates und Berufliches immer getrennt, so Marion. Sie beschreibt die junge Frau als fröhlich und temperamentvoll. „Hatun war voller Energie, musste aber auch viel bewältigen in ihrem Leben.“ Sie habe bereits Pläne geschmiedet: „Sie wollte weiter zur Schule gehen, später vielleicht im theoretischen Bereich als Elektrikerin arbeiten“, erzählt ihre Betreuerin. „Jetzt wissen wir noch nicht einmal, wie Hatun bestattet wird. Wir hoffen, dass die Polizei erfolgreich sein wird.“

ACB, PLU, RAE

* Name geändert