Leute, kauft jetzt Sandsäcke!

… denn wenn das Hochwasserschutzgesetz blockiert wird, wird die nächste Flut verheerend. Brandenburg und Rheinland-Pfalz haben schnell verdrängt

VON MATTHIAS URBACH

Als vor gut sieben Jahren die Oder durch die Deiche brach, wurde auch die kleine Ernst-Thälmann-Siedlung südlich von Frankfurt (Oder) überspült – und zerstört. Damals erwog man, die Siedlung in der Ziltendorfer Niederung aufzugeben und die Häuser auf höherem Gelände neu zu errichten. Doch kurze Zeit später, der erste Schreck war vergessen, baute man die Siedlung am alten Platz wieder auf. Burkhard Voß, Landesvorsitzender des Umweltverbandes BUND in Brandenburg, erzählt die Geschichte als Beispiel dafür, wie schnell die Menschen die Hochwassergefahr wieder verdrängen. „Dabei liegt die Siedlung unterhalb des Oderspiegels.“

1997 war Matthias Platzeck noch Umweltminister und wurde wegen seines Krisenmanagements zum „Deichgrafen“. Als vor zweieinhalb Jahren die Elbe über ihre Ufer trat, war Platzeck inzwischen Ministerpräsident in Brandenburg. Diesmal profitierte Kanzler Gerhard Schröder in den Umfragen als Krisenmanager mit einem 5-Punkte-Programm zum Hochwasserschutz, das er eine Woche vor der Bundestagswahl 2002 vorlegte.

Der Rest einer Idee

Heute ist vom Hochwasserschutzgesetz nicht mehr viel übrig geblieben, wie Umweltpolitiker aus der Koalition unter der Hand gestehen. Grund ist der Widerstand aus zwei SPD-geführten Ländern: Rheinland-Pfalz und – ausgerechnet – Brandenburg. Im Dezember meldeten sie Widerstand gegen das vom Bundestag im Sommer beschlossene Gesetz an: Sie lehnen das geplante Bauverbot in Überschwemmungs- und Abflussgebieten ab und wollen Bauern dort weiter Grünland umbrechen lassen. Ohne diese beiden Länder droht der Bundesregierung eine Zweidrittelmehrheit gegen das Gesetz. Damit kann es vom Bundesrat ausgehebelt werden, obwohl es gar nicht zustimmungspflichtig ist.

Noch im Dezember schrieb Burkhard Voß zusammen mit den anderen Chefs der brandenburgischen Naturschutzverbände an Ministerpräsident Platzeck. Ihre Bitte ist, „dem Gesetzentwurf zuzustimmen“. Aus Sicht der Umweltschützer stelle der Entwurf ohnehin einen „weitgehenden Kompromiss“ zu Lasten von natürlichen Überflutungsflächen dar, um künftige Hochwasser abzumildern. „Intensive landwirtschaftliche Nutzung von potenziellen Überflutungsflächen bzw. deren Bebauung“ gefährde den „Hochwasserschutz insgesamt“. Doch der „Deichgraf“ antwortete nicht einmal.

Dafür ist es jetzt auch zu spät. Denn Platzeck hat der Regierung inzwischen ein Kernstück ihres Hochwassergesetzes abgehandelt: Um im Bundesrat kommende Woche nicht zu scheitern, so erfuhr die taz aus Koalitionskreisen, gab der Bund jetzt beim Ackerverbot in den unmittelbaren Überschwemmungsgebieten nach. Künftig, so das Kompromissangebot, soll durch Landesrecht geregelt werden, „wie mögliche Erosionen oder erheblich nachteilige Auswirkungen auf Gewässer insbesondere durch Schadstoffeinträge zu vermeiden oder zu verringern sind“. Eine Regelung, die, wie Voß urteilt, „viel offen“ lasse: „Da kann ich mir denken, worauf das hinausläuft.“ Schließlich habe die Landesregierung mehrfach betont, dass den Bauern kein Nachteil entstehen solle.

Wird Grünland überflutet, passiert erst mal nichts. Ist das Land aber beackert, werden Dünger und Pestizide ausgespült, die Frucht verfault, verbraucht Sauerstoff, Fische werden vergiftet oder ersticken. „Wir hatten damit bei der Elbflut riesige Probleme“, erzählt Voß. Hinzu käme, dass sich die Erde als Schlamm in den überfluteten Kellern ablagert.

Grundstück mit Flussblick

Trotz dieses Zugeständnisses ist Rheinland-Pfalz noch immer nicht zufrieden. Dort besteht man auch nach 41 Stunden Verhandlungen in der extra gebildeten Arbeitsgruppe des Vermittlungsausschusses darauf, das Bauverbot in den Überflutungsgebieten aufzuweichen. In dem Vorschlag des Landes für den Vermittlungsausschuss, der der taz vorliegt, will Mainz eine Ausnahmeregel für den Neubau ins Gesetz drücken: wenn nämlich „keine anderen Möglichkeiten der Siedlungsentwicklung bestehen oder geschaffen werden können“. Aus Sicht von Rot-Grün wird das zu „neuen Bauten gerade in flussnahen Kommunen führen, die sich darauf berufen werden, keine anderen Flächen zur Verfügung zu haben“. Weiter heißt es in einer internen Einschätzung, die der taz vorliegt: „Umfangreiche neue Schäden wären vorprogrammiert.“

Doch trotz dieser Schäden haben viele Kommunen ein Interesse an Neubauten, auch in Überschwemmungsgebieten. Schließlich ist die Ausweisung von wertvollen flussnahen Neubaugrundstücken eine lukrative Einnahmequelle. „Die Gefahren werden erst wieder gesehen, wenn das nächste Hochwasser kommt“, sagt Burkhard Voß. „Die Schäden bezahlen dann der Steuerzahler – und die Spender.“