Besuch aus einer anderen Welt

Der Verein „Gesicht zeigen!“ schickte MigrantInnen als „Experten“ an Brandenburger Schulen, um rechtsextremen Einstellungen vorzubeugen. Das Interesse war gering

Der Ausländeranteil in Brandenburg beträgt lediglich 1,9 Prozent. Trotzdem finden dort 54 Prozent der Jugendlichen, es seien zu viele. Der Berliner Verein „Gesicht zeigen!“ setzt seit 2004 mit dem Projekt „Moderne Zeitzeugen – Besuche im anderen Leben“ direkt in den Brandenburger Schulen an, um präventiv gegen rechtsextremistische Tendenzen vorzugehen. Gestern zogen die Organisatoren Bilanz.

Der Verein vermittelte Treffen zwischen Gesamt- und Realschülern der 7. bis 10. Klasse und Menschen mit Migrationshintergrund, die in Berlin leben. Im Vordergrund stand jedoch nicht ihre Herkunft, sondern ihr Beruf: Sie sollten als „Experten“ mit den Schülern zusammenarbeiten und diskutieren. Gemeldet für den ungewöhnlichen Austausch hatten sich etwa ein Dozent für arabische Sprache oder eine PR-Beraterin koreanischer Herkunft.

Erst besuchte der Experte die Schüler in Brandenburg. Eren Ünsal zum Beispiel, die Sprecherin des Türkischen Bundes Berlin-Brandenburg, ging nach Schwanebeck in eine 8. Klasse. Sie sprach mit den Jugendlichen über Ausgrenzungsmechanismen. Die Schülerin Nadine zog folgendes Fazit: „Sie war nett. Ich würde sagen, dass sie doch mehr zu den Deutschen gehört, denn so türkisch sieht sie auch wieder nicht aus.“ Mike Reichel, afrodeutscher Kriminalkommissar, diskutierte darüber, was „deutsch“ sei. Dass die Schüler prompt die weiße Hautfarbe als Kriterium nannten, habe ihn doch erstaunt. Trotzdem hat er das Gefühl, „dass man schon etwas bewegt“, sagte er gestern.

Etwa vier Wochen später kamen die Schüler nach Berlin und lernten die Lebens- und Arbeitswelt des Experten kennen. Im Anschluss standen Workshops, eine Führung durch Kreuzberg und ein Moschee-Besuch auf dem Programm.

Der Anfang des Projekts war schwieriger gewesen als erwartet. Obwohl das Angebot für die Schulen kostenlos war, fanden sich kaum Interessenten. Der Verein schrieb 193 Schulen an – gerade 11 wollten teilnehmen. Viele Brandenburger Schulen würden sich abschotten, berichtet Nadja Abdelhamid, die Koordinatorin des Projekts. Grund dafür sei die „Angst vor dem Rassismusvorwurf“. Vielen hänge das Thema schlicht „zum Hals raus“. Auch Vorurteile unter den Lehrern seien keine Seltenheit. Nadja Abdelhamid hat das selbst erlebt, als eine Lehrerin sie ausgiebig bestaunte: „Das ist ganz toll, mal eine in der Klasse zu haben, die schwarz ist!“

Besorgniserregend war laut der Bilanz des Vereins oft das Bildungsniveau der SchülerInnen: Vielen war der Begriff Holocaust unbekannt. Abdelhamid schätzt, dass etwa 20 Prozent der beteiligten Schüler „rechts“ eingestellt seien. Dass ein Besuch einer Gruppe in Berlin abgebrochen werden musste, weil die Jugendlichen nicht bereit waren, ihre rechtsextremistischen Symbole abzulegen, sei aber eine Ausnahme gewesen.

Auch in diesem Jahr soll das Projekt weiterlaufen und wenn möglich sogar ausgeweitet werden: Die Experten sollen mehr Zeit in den einzelnen Klassen verbringen. ANNA STARK