Krug und Kruzifix

Auf dem bayerischen Kreuzberg versinkt die Welt im Nebel. Eine Bierwallfahrt

So geht das. Mit der Karre hochbrettern. Im BMW, 353 PS. Und einen Fahrer haben. Der dann ein Cola trinkt. Vielleicht. Und jetzt aber erst mal die Mannschaft hochbringt. Damit sie bloß nicht laufen muss. Auf den Kreuzberg in der Bayerischen Rhön, nicht weit von Fulda, wo einst der Dyba sel. hauste, östlich von Wildflecken.

928 Meter hoch. Das packt ohne Pkw keiner. Es sei denn, er ist Wanderer. Am Tisch wird das bestätigt. Man fährt. Der Hochrhönbus fährt, und irgendein Fred fährt auch. Ein Fred, der einen hochbringt, zum Bier bringt und wieder wegbringt. „So wird das gemacht, das ist schön“, sagt die Dame und hebt die Maß.

Der Kreuzberg, zusammen mit der ebenso hohen Dammersfeldkuppe (ein Name, den man sich unbedingt merken sollte) der zweithöchste Berg der Rhön, liegt auf der Rhein-Weser-Wasserscheide. Aus diesem Grund regnet oder schneit es hier immer. Meistens. Manchmal. Zumindest, wenn die Mannschaft kommt. Die Mannschaft: Herr L., Herr T. und Herr R. Herr L. ist der Fahrer und darf also nichts trinken – L. wie Loser.

Dauer- oder Schneeregen, das ist Deutschland. Das ist Kreuzberg. Unbeeindruckt walzen Millionen den Berg hinauf. Fluten die Parkplätze, überschwemmen den Vorplatz, drängen zur Würstlbude, entern den Klosterhof, umstellt von grauschwarzen, groben Basaltmauern. Feucht pappen die Kleider. Das Bier fließt. Ein Geschrei findet statt. Kalt ist der Arsch.

Die Wallfahrts- und Klosterkirche, hoch droben über Buchenwäldern, Basaltkuppen, Mooren und Bergmatten thront sie treulich, beherbergt seit dem 17. Jahrhundert Mönche des Bettelordens der Franziskaner. Seit 1731 betreiben sie eine eigene, gerühmte Brauerei. Das ist ein Argument. „Ein endloser Zug“ nach dem anderen, so Kardinal Faulhaber schon im Jahr 1901, schiebt sich vorwärts und hinzu zur Tränke, zum Ausschank, dem heiligen, hin „zum Krug“ (Faulhaber), o Kruzifix.

Vier, fünf, sieben Wirtsräume. Alle brechend voll. Im Zentrum der reihum angeordneten Stuben die Schank. Stimmung in den Gängen wie im Stehimbiss um halb neun. Tonkrüge, tonales Mischmasch, Rucksäcke, manch ein Sackgesicht. Blechern tönt durch Lautsprecher: „Eine Damenuhr wurde gefunden. Sie kann an der Pforte abgeholt werden.“

Eine Nichtraucherstube gibt es. Im „Fürstensaal“, einem Raucherparadies ohne geöffnetes Fenster, findet die Mannschaft endlich Platz. Direkt am Eingang. Denn am Nebentisch will man nicht, dass geraucht wird. Also darf man nicht Platz nehmen. Man darf aber drei Nichtraucherstühle mitnehmen und sich in den Durchzug setzen. Das ist erlaubt. Seitens der Nichtraucher.

Sekündlich geht die Tür. Auf und zu. „Was hier weggesoffen wird“, sagt Herr L. und verlacht sein Cola. Tabletts fliegen durch die Luft, Tabletts aus der Kantine, in der ein höllisches Geschiebe herrscht, als gäbe es was umsonst. Außer dem Glauben.

„Wenn der Islamist hier tätig würde, er würde den Nerv des Abendlandes treffen“, sinniert Herr L., Herr R. betreibt Studien über die Möglichkeit, verschiedene Arten von Durchzug zu beschreiben. Herr T. hat seine dunkle Maßpremiere. Die Brezeln sind kross und gut wie nirgendwo. Bald wird jemand von einem Tablett erschlagen, preiswert und rustikal. Schnaps und mitgebrachte Speisen sind verboten.

Dicke Frauen, mitteldicke Männer, dünne Damen, Schweinsbratenbäuche, Fräuleinwunder. Die Räume sind karg, die Tischdecken gemustert, die Pegel steigend. Draußen versinkt die Welt im Nebel, im Schnee und im Regen.

Herr T. kommt sich vor „wie in einem Hörspiel von Eugen Egner“. Herr L. erzählt, zurückgekehrt von draußen, die Pilger seien da. Am Bus spiele man Kirchenlieder. Mit der Blaskapelle. Zutritt zum Antonius-Bau „nur für Pilger“. Eine Nonne trinkt unter den Weltlichen. Durchsage: „Sehr verehrte Wallfahrer, um 21.15 Uhr findet in der Kapelle ein Couplet statt.“ Das hört man doch gern.

Um 20 Uhr soll Schluss sein, Pfandrückgabe (drei €) ist bis 21 Uhr möglich. Um 22 Uhr sind alle voll. „Singen und Gegröle“, per Anschlag untersagt, „da wir kein Festzelt oder eine derartige Einrichtung sind“, hie und da und überall. So langsam, so sicher sitzt man jetzt endlich im nahezu perfekten Wirtshaus. So geht das. Im Grunde. Vielleicht. O doch. Wir denken weiter drüber nach. JÜRGEN ROTH