Belgisches Trauma

Kann eine TV-Serie die Dutroux-Affäre aufarbeiten? „Dunkle Wasser“ versucht es (WDR, 22.00 Uhr)

Nein, keine frittierten Kartoffelstäbchen auf einem Sendeplatz, den der WDR seit vergangenem Oktober für besonders spannungsgeladene Fernsehfiktionen reserviert hält. Und auch ansonsten bleibt dieses Belgien eine ferne, eben dunkle Welt.

Nur einmal, ganz kurz, radeln alte Bekannte durchs Bild. Belgien ist eben auch das Land eines Eddy Merckx. Aber so etwas taugt in „Dunkle Wasser“ allenfalls noch zum fernen, verschwommenen Zitat. Zumal die radelnden Senioren ohnehin zu spät gekommen sind. Eigentlich wollten sie mit einer Fähre die Schelde überqueren – aber der Fährmann ist gerade selbst über den Jordan gegangen. Im neuen Pullover liegt er bäuchlings im knöcheltiefen Morast. Alles beginnt also mit einem starken, gar religiösen Motiv: Der Fährschiffer, sonst Symbol für den Tod, ist selbst zum Toten geworden.

Was zunächst wie ein Unfall aussieht, entpuppt sich bald als Selbsttötung. Und doch ist ein Mörder nicht weit. Und der Verdacht, dass der Tote einmal selbst Tod gespielt hat. „Seit zwei Jahren bin ich verflucht und niemand weiß es. Ich habe mich an einem Verbrechen beteiligt, an meinen Händen klebt Blut“, hat der Binnenschiffer auf einer seiner letzten Fahrten den Zuschauern gebeichtet, „es geht um etwas, das noch schlimmer ist als Mord“. Was das sein könnte, malt sich in düsteren Farben in die nebelverhangene Flusslandschaft. Schließlich sind wir in Belgien, einem Land, dessen berühmtester Bürger einmal Eddy Merckx hieß. Oder, je nach Interessenlage, Jacques Brel. Heute heißt er Marc Dutroux.

Wahrscheinlich niemals zuvor hat sich ein Verbrechen so tief in die Haut einer Nation eingebrannt. Und selten zuvor tat sich ein Organismus namens Staatsapparat so schwer, Antikörper gegen das Böse zu entwickeln. Noch heute, im Jahr eins nach dem Prozess, vermag niemand genau zu sagen, wer die Täter eigentlich sind. Und wie viele Mitwisser in Brüssel oder sonst wo sitzen. In so genannten weißen Protestzügen formierten sich vor fünf Jahren weite Teile der belgischen Bevölkerung als eine wütende Opposition – und stellten letztlich doch nicht mehr als ihre eigene Ohnmacht aus. Diese Lethargie durchdringt auch „Dunkle Wasser“ immer wieder.

Die Serie erzählt von keinen Gutmenschen und keinem Aufstand der Anständigen. Sie erzählt von den Unanständigen und einer tiefen Fassungslosigkeit – gegenüber der Tat an sich und den ganz rationalen Strukturen, die der Pädophilie erst einen Markt öffnen. In Belgien erreichte „Dunkle Wasser“ vor drei Jahren einen Marktanteil von bis zu 60 Prozent. Der WDR zeigt die 13-teilige Produktion von heute an auch im flämischen Originalton.

CLEMENS NIEDENTHAL