geschlechtsspezifische medizin
: Die Barrieren sind im Kopf

Das Problem ist erkannt. Doch noch wird zu wenig getan, damit eine geschlechtsspezifische Medizin auch angewendet wird

Männer gelten als „Präventionsmuffel“. Im Vergleich zu Frauen kümmern sich Männer weniger um ihre Gesundheit. Sie nutzen weitaus seltener die angebotenen Vorsorgeuntersuchungen, schätzen aber ihren subjektiven Gesundheitszustand als besser ein als Frauen vergleichbaren Alters. Frauen lassen sich häufiger den Blutdruck messen und achten mehr auf ihre Ernährung. In der medizinischen Forschung aber spielen Frauen noch immer eine Nebenrolle.

„Sex matters“, das ist sowohl den Medizinern als auch den Pharmaunternehmen bekannt. Dennoch stellt die Professorin Vera Regitz-Zagrosek, Spezialistin für Frauenherzen am Deutschen Herzzentrum Berlin, im diesjährigen Weißbuch „Prävention, herzgesund?“ der Kaufmännischen Krankenkasse (KKH) erhebliche Defizite fest.

So seien von 442 im renommierten Fachjorurnal New England Journal of Medicine in den Jahren 1994 bis 1999 publizierten Studien lediglich 14 geschlechtsspezifische Analysen zu finden gewesen. In gerade einmal 24 Prozent der untersuchten Arbeiten seien Frauen Teil der Studienpopulation gewesen.

Mit dem zwölften Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes, das Ende Juli 2004 in Kraft getreten ist, soll sich das ändern. So ist nun vorgeschrieben, dass eine unterschiedliche Wirkungsweise von Arzneimitteln bei Frauen und Männern jetzt nachgewiesen werden muss.

Ein Schritt in die richtige Richtung, wenn auch nur ein sehr kleiner. Denn die Masse der bereits zugelassenen Medikamente bleibt von der geschlechtsspezifischen Prüfung verschont. Und: Pharmahersteller werden auch künftig nicht vom Gesetzgeber in die Pflicht genommen, auf geschlechtsspezifische Wirkungen und Nebenwirkungen hinweisen zu müssen.

Hier wird auf Kosten der Frauen und der Patienten im Allgemeinen gespart: Denn die durch Falsch- oder Minderbehandlung entstehenden Kosten für die Patienten oder gar Schäden durch eine falsche Medikation, dürften um ein Vielfaches höher liegen als die langfristig entstehenden Kosten für genauere Arzneimitteltests.

Die „Barrieren für eine geschlechtsspezifische Medizin und Forschung liegen in den Köpfen“, meint Brita Larenz von der „Initiative Frauenherz“. Entsprechende Schulungen wären bitter nötig. So steht es auch in der Charta des Arbeitskreises Frauengesundheit (AKF).

Gender-Mainstream klingt gut, vital, jung und dynamisch. Daher scheint auch die politische Gender-Kampagne Früchte zu tragen. Wer aber genauer hinschaut, erkennt, dass auch in Sachen Gender-Medizin zum Teil Wermutströpfchen ausgeteilt werden. So wurde beispielsweise die Finanzierung der 2002 ins Leben gerufene „Bundeskoordination Frauengesundheit“ durch das Bundesgesundheitsministerium von vorn herein auf lediglich drei Jahre befristet.

Aber nur mit Hypothesen im Arztkoffer kann kein Mediziner effektiv arbeiten. Vorausgesetzt, er interessiert sich überhaupt für das Thema Frauengesundheit. Und das stand zum Beispiel auch auf der Tagesordnung beim letzten Kongress des „Zentralverbandes der Ärzte für Naturheilverfahren“. Die im Gesundheitswesen dominierenden Männer allerdings waren hier kaum anzutreffen. Sicher ist es bequemer, sich als Arzt von den Pharmavertretern über die Wirksamkeit von Medikamenten aufklären zu lassen und auf die alten Gäule zu setzen. Effektiver aber ist es sicherlich nicht.

STEPHANUS PARMANN