40 Tage und kein bisschen beliebter

Bei einer Diskussion über „40 Tage Hartz IV“ im Domforum wird die Arbeit der ARGE kritisiert. Peter Welters, Chef der Kölner Agentur für Arbeit, rechnet bis Mai mit einem Anstieg der Empfänger von Arbeitslosengeld II um sechzig Prozent

KÖLN taz ■ Schlechte Beratung von Arbeitslosen und 1-Euro-Jobs als „Zwangsarbeit“: Das waren die zentralen Themen einer Podiumsdiskussion am Donnerstag im Domforum. Peter Welters, Chef der Kölner Agentur für Arbeit (AA), Franz Decker, Pfarrer und Direktor der Caritas Köln, und Thomas Münch, Ex-Geschäftsführer des Kölner Arbeitslosenzentrums KALZ, jetzt Professor in Düsseldorf, zogen Bilanz über „40 Tage Hartz IV“. Heftige Zwischenrufe und Fragen aus dem Publikum, darunter viele bekannte Teilnehmer der Montagsdemonstration, sorgten für eine teilweise hitzige Diskussion, die weit über die sonst üblichen Allgemeinplätze hinausging.

Zu Beginn gab Welters durchaus „strukturelle“ Anlaufschwierigkeiten bei der Arbeitsgemeinschaft von Arbeitsagentur und Sozialamt (ARGE) zu und bestätigte, dass die „Bewilligungsbescheide“ für das Arbeitslosengeld II (ALG II) oft unverständlich seien. Es gelang ihm allerdings nicht, dem Auditorium die Arbeit der ARGE als im Wesentlichen erfolgreich zu verkaufen. Nicht nur Decker kritisierte, dass immer noch Ratsuchende in der Behörde von „Pontius zu Pilatus“ geschickte würden. Ratsherr Claus Ludwig (Gemeinsam gegen Sozialraub) berichtete, dass ARGE-Mitarbeiter Antragsteller sogar zu ihm schickten, damit er die Bescheide erkläre.

Für die politische Einbettung von Hartz IV sorgte auf dem Podium allein Thomas Münch. Die „Reform“ sei der von Rot-Grün gewollte „Beginn des Abschieds vom Sozialstaat“. So führten die 1-Euro-Jobs dazu, dass Festangestellte aus Angst um ihre Arbeit bei Tarifverhandlungen mit niedrigeren Löhnen einverstanden seien. Und Jobs schaffe Hartz IV auch nicht. Dass es in Köln nicht genügend freie Stellen gibt, räumte auch Welters ein und kündigte noch schwerere Zeiten an. Derzeit erhielten 53.000 „Bedarfsgemeinschaften“ ALG II, insgesamt rund 94.000 Menschen. Bis Mai rechnet Welters mit bis zu 80.000 ALG-II-Empfängern.

Heiß diskutiert wurden die 1-Euro-Jobs. Laut Welters wird sich bald ein Beirat aus Arbeitsloseninitiativen, Wohlfahrtsverbänden, Gewerkschaften und Arbeitgebern konstituieren. Er soll Kriterien für die so genannten „Integrationsjobs“ beschließen. Diese sollen freiwillig sein, dem Gemeinwohl dienen, keine bestehenden Arbeitsplätze ersetzen. Kriterien, die schon bei der Arbeit von Zivildienstleistenden nicht eingehalten wurden, erinnerte eine Zuhörerin.

Auf die Fragwürdigkeit des Begriffs „freiwillig“ wies Münch hin. So würde zwischen Arbeitslosen und ARGE vor dem Antritt eine 1-Euro-Jobs eine „Eingliederungsvereinbarung“ über Rechte und Pflichten beider Seiten geschlossen. Doch könne die ARGE mit Sanktionen, etwa der Kürzung von ALG II, drohen, der Arbeitslose aber nicht.

Welters versprach, keine „Integrationsjobs“ zu genehmigen, die reguläre Arbeitsplätze ersetzen. Doch Ludwigs Frage, ob er entsprechende Wünsche der Stadt ablehnen werde, blieb unbeantwortet. Das Grünflächenamt, so der Ratsherr, wolle rund 130 Mitarbeiter entlassen und durch 1-Euro-Jobber ersetzen. Kritik gab es auch an der Caritas: Auch hier sollen Mitarbeiter entlassen und gleichzeitig einige tausend 1-Euro-Jobber eingestellt werden. „Passen Sie mit uns auf, dass sich die Caritas nicht an dieser Zwangsarbeit beteiligt“, bat Decker das Publikum. Jürgen Schön