peters‘ paradise
: Das große Lutschertreffen

Der rote Teppich ist ausgerollt und wartet nur darauf, dass man ihn die nächsten Tage fleißig mit Füßen tritt. Bis jetzt hat man seine Wünsche artig erfüllt. Zu den Eröffnungsfeierlichkeiten war Deutschlands A-, B- und C-Prominenz vollzählig erschienen und tanzte leichtgewichtig über ihn hinweg. Auch die Stars des Eröffnungsfilms „Man To Man“ schritten elegant das edle Webstück entlang.

Und was für einen prächtigen Film Kristin Scott Thomas und Joseph Fiennes mitgebracht hatten. Ein Werk, in dem sich politisches Bewusstsein, höhere Schauspielkunst und herrliche Landschaftsaufnahmen glücklich verschränkten und für die Dauer von etwa zwei Stunden von eindringlicher Orchestermusik zusammengehalten wurden. Ein bisschen wie „Jenseits von Afrika“, nur eben ganz anders. Man sah Großwildjägerin Scott Thomas furios mit einer Flinte fuchteln und Wissenschaftler Fiennes nachdenklich ins Studierbuch starren. Und nicht nur das: „Man To Man“ war auch ein großer Schritt für die Sache des Pygmäenfilms, einer Sparte, in der es seit Johnny Weissmüllers beliebter „Tarzan“-Reihe nur wenig Interessantes zu sehen gab.

Die beiden Pygmäendarsteller, bei denen es sich übrigens um wahrhaftige Pygmäen handelt, wurden bei der Pressekonferenz der staunenden Öffentlichkeit präsentiert, während Scott Thomas noch einmal darauf hinwies, wie sehr sie die unverdorbene und quasi natürliche Schauspielkunst der Pygmäen schätzt. Und wie im Film guckten die beiden Pygmäen dazu ungerührt ins Nichts.

Noch ist es schwer zu sagen, ob sich der Pygmäenfilm zu einem Schwerpunkt der Berlinale entwickeln wird, sicher ist hingegen schon jetzt, dass das Lutschen ein Hauptthema des Festivals ist. So geht es zum Beispiel in dem interessanten Wettbewerbsbeitrag „Thumbsucker“ um das Für und Wider des Daumenlutschens. Wie man weiß, ist das Daumenlutschen zwar allgemein üblich, wird aber zumindest in der Öffentlichkeit nur bis zu einem gewissen Alter toleriert. Für die Eltern des Daumen lutschenden Filmhelden ist der Sohnemann jedoch längst aus dem respektablen Daumenlutschalter heraus, weshalb bald ein Hypnotiseur auf den Plan tritt und das Unglück seinen schicksalhaften Lauf nimmt.

Bemerkenswerterweise ist der Zusammenhang zwischen Hypnose, Lutschen und Unglück zugleich auch das zentrale Motiv des Dokumentarfilms „Inside Deep Throat“, der in der Sektion Panorama zu begutachten ist. Darin wird die Geschichte des über alle Maßen erfolgreichen Pornofilmklassiker „Deep Throat“ erzählt, der Anfang der Siebzigerjahre die amerikanische Nation durch ausgelassenes Gelutsche in einen regelrechten Schockzustand versetzte. Ist so viel Gelutsche erlaubt, fragte man sich, und darf man sich dabei auch noch filmen lassen.

Später erklärte die Hauptdarstellerin und Oralsexartistin Linda Lovelace jedenfalls für die Zeit der Dreharbeiten unter einer Art Dauerhypnose gestanden zu haben. Vom potenziellen Hypnotiseur war keine Stellungnahme zu hören. Auch Lovelace wird man auf dem roten Teppich nicht näher dazu befragen können, weil sie leider vor ungefähr drei Jahren bei einem Verkehrsunfall verstarb. HARALD PETERS