Allen Widrigkeiten zum Trotz

Über 10.000 schwerbehinderte Menschen sind in Berlin von Arbeitslosigkeit betroffen. Ihnen hilft „EnterAbility“ beim Weg in die Selbstständigkeit. Das Projekt steht seit Hartz IV vor neuen Problemen

VON IWONA KALLOK

„Behinderung und Selbstständigkeit, das passt doch nicht zusammen“, sagen viele zu Manfred Radermacher, wenn er ihnen erzählt, dass er Menschen mit Schwerbehinderung bei der Existenzgründung berät. Die Skeptiker haben sich getäuscht: Vor einem Jahr gründeten Betroffene und Mitarbeiter von Behindertenverbänden das Modellprojekt „EnterAbility“. Sie betrachten Selbstständigkeit als Chance für Behinderte, als Ausweg aus der Arbeitslosigkeit. Radermacher ist der Leiter dieses deutschlandweit einzigartigen Projekts, das vom Integrationsamt bei der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales unterstützt wird.

In Berlin sind mehr als 10.000 Menschen mit Schwerbehinderung arbeitslos gemeldet. Bis zu 10 Prozent von ihnen, so die Schätzungen der Arbeitsagentur, denken über eine selbstständige berufliche Existenz nach. Die Umsetzung ist jedoch schwierig, denn überall treffen Behinderte auf Vorbehalte – Ämter unterstützen sie nicht genügend, und Banken geben keine Kredite.

Dabei hätten gerade Behinderte sich in ihrem Kampf, das Leben zu meistern, wichtige Kompetenzen angeeignet, sagt Radermacher. Dieses Können, diese Kenntnisse seien ebenfalls unabdingbar, wenn man mit einem eigenen Unternehmen Erfolg haben wolle. „Im Überwinden von Schwierigkeiten sind Behinderte Meister. Außerdem haben sie besonders ausgeprägte Fähigkeiten im zwischenmenschlichen Bereich.“

EnterAbility bietet sich nun als Mentor und Fürsprecher für Behinderte an, die sich selbstständig machen wollen. Die drei MitarbeiterInnen des kleinen Kreuzberger Büros in der Muskauer Straße helfen beim Kampf durch den Behördendschungel. Sie beraten kostenlos die behinderten Unternehmer in spe, die allerdings bereits eine konkrete Geschäftsidee haben müssen. Die Ideen fürs eigene Unternehmen reichten von der EDV-Beratung über die Gebärdenschule für Gehörlose bis hin zur Heilpraxis mit Doktorfischen. 21 Menschen haben im vergangenen Jahr mithilfe von EnterAbility ihre eigene Firma gegründet. Bei allen wurde sorgfältig abgewogen, ob sie auf dem Berliner Markt eine Chance haben, bestehen zu können. „Uns geht es auch darum, Schwerbehinderte vor einem ungeplanten Sprung ins Abenteuer Selbstständigkeit zu bewahren“ betont Radermacher.

Deshalb durchlaufen die InteressentInnen eine mehrmonatige Schulung. Wenn ihre Idee gut ist, treffen sie sich mehrmals mit Leuten aus dem EnterAbility-Team. Die beraten sie in wirtschaftlichen Fragen rund um die Existenzgründung und helfen bei persönlichen Problemen. Daneben lernen die ExistenzgründerInnen in Seminaren Marketing, Finanzierung und Buchhaltung. Außerdem hilft EnterAbility beim Bewältigen des Papierkrams: Gewerbe- und Steueranmeldung, Mietverträge, Buchhaltung, Werbung.

Schließlich erstellen die Gründer einen Businessplan, der die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens darlegt. Mit dem stellen sie sich bei Banken vor und versuchen, einen Kredit zu bekommen. Verweigern die Banken das Geld, gibt es noch den EnterAbility-Vergabebeirat, der Darlehen bis zu 15.000 Euro bewilligen kann. In ihm sitzen VertreterInnen von Unternehmen, Kammern, Banken und der kommunalen Verwaltung. Die Mittel kommen aus dem Etat des Integrationsamts.

Die meisten Probleme, so Radermacher, bereite derzeit die Kommunikation mit den Arbeitsagenturen. „Bisher hatten wir konkrete Ansprechpartner, aber im Moment ist wegen Hartz IV alles im Umbruch. Uns fehlen zurzeit die Kontakte.“ Außerdem haben sich die Förderungsbedingungen für Existenzgründer geändert: Statt „Ich-AGs“ gibt es seit Januar vom Arbeitsamt „Einstiegsgeld“. Noch weiß keiner der drei MitarbeiterInnen von EnterAbility, wie sich das auf ihr Projekt auswirken wird. Manfred Radermacher wünscht sich deshalb vor allem „eine bessere Zusammenarbeit mit den Ämtern und eine langfristige Sicherung des Projekts auch nach dem Auslaufen der Modellphase.“

www.enterability.de