Weiße Göttin

„Compulsive Beauty“ fragte nach der Schönheit – Mariko Mori antwortete mit einer Performance

So muss es in den frühen Sechzigerjahren zugegangen sein, als Abstraktion und Performance aufeinander trafen und Künstlergurus wie Yves Klein ihre Shows aufführten. Statt Blau herrschte am Donnerstagabend im Hamburger Bahnhof zwar die Farbe Weiß vor, ansonsten fühlte man sich beim Auftritt der japanischen Künstlerin Mariko Mori zurückversetzt in Happeningzeiten.

Weiß – das ist die Farbe der Reinheit und Initiation, im Westen steht es für Neuanfang und Hochzeit, im asiatischen Raum für Trauer und Tod; eine durchweg mit Ritualen verbundene Farbe. Und ganz wie ein schamanistischer Priester wirkte Mariko Mori, als sie mit kleinen, federnden Schritten in den Saal schwebte, gekleidet in ein weißes Gewand mit langen Ärmeln, unter denen die Hände verschwanden; dazu weiße Strümpfe. Eine milchige Maske verdeckte ihr Gesicht und gab ihm zugleich eine andere Form, verwandelte den menschlichen Kopf in ein tierisches Wesen. Begleitet von der meditativen Musik Ken Ikedas schritt Mori um ein Dutzend weißer Steine herum, die in der Mitte des Saales zu einem Kreis arrangiert waren. Dazu klapperte sie in unregelmäßigen Abständen mit Holzplättchen, die zwischen ihren Fingern angebracht waren. Die Musik steigerte sich langsam, Mori umrundete das Steinensemble zweimal und entschwand dann auf leisen Sohlen.

Mariko Moris Performance war Teil einer Veranstaltung des Zentrums für Literaturforschung, die unter dem Titel „Compulsive Beauty“ der Frage der Schönheit in Kunst und Wissenschaft nachging. Der Fokus lag auf Formen exaltierter, ekstatischer Schönheit, ein Terrain, das Mariko Mori seit Jahren bearbeitet. Nach der Performance wurden zwei ihrer Videoarbeiten gezeigt, in denen sie als tierisches Fabelwesen, als Cyborg oder als Göttin durch surreale Bildwelten wandelt.

Um die Metamorphose des Menschlichen in ein Hybridwesen, um diese Figuren „trans-humaner Schönheit“, drehte sich die anschließende Diskussion. Bernhard Siegert von der Bauhaus-Universität Weimar sagte, Mori schließe in ihren Performances an buddhistische Traditionen und alte japanische Riten an, um Motive der Wiedergeburt darzustellen. Trotz dieser Rückgriffe auf religiöse Symboliken liegt Mariko Mori alles Verschroben-Esoterische fern, wie Gabriele Knappstein vom Hamburger Bahnhof betonte. Indem sie Buddhafiguren und Teletubbies, Girlie und Göttin aufeinander treffen lässt, bringe Mori keinen Kitsch, sondern eine neue Ernsthaftigkeit hervor. An diesem Punkt, wo die Diskussion richtig hätte beginnen können, endete sie – zurück blieb dafür umso mehr die Erinnerung an eine beeindruckende Performance.

SEBASTIAN FRÄNZEL