Es muss wehtun

„Der Sport als Paradies des Wesentlichen“: Bei den diesjährigen Brecht-Tagen ging es um das Verhältnis von Brecht und von heutigen Intellektuellen zum Sport, um das Urdramatische, das dem Theater der Gegenwart fehlt – und um das Unmoderne am Sport, insofern es bei ihm vor allem um Leistung geht

Rededuelle kamen wie Kammerspiele daher und hatten durchaus sportlichen Charakter

VON ANDREAS RÜTTENAUER

Erfahrene Brecht-Exegeten wissen es. Der Dichter aus Augsburg war ein Fan des gepflegten Schlagabtauschs. Nein, nicht des Wortgefechts – das sicher auch –, nein, Bertolt Brecht war vom Boxen angetan. Das passt zu seinem Bild vom Sport, mutet aber in der heutigen Freizeitgesellschaft doch recht eigenwillig an. Denn Sport hörte für Brecht auf, wo er anfängt, gesund zu werden. „Ich bin für den Sport, weil und solange er riskant (ungesund), unkultiviert (und damit nicht gesellschaftsfähig) und Selbstzweck ist“, schrieb Brecht im Jahr 1928. Dieser Satz sowie andere Anmerkungen Brechts zum Thema Sport sind im Programmheft zu den diesjährigen Brecht-Tagen im Literaturforum an der Chausseestraße zusammengestellt. Thema der Veranstaltung: Brecht und der Sport.

Der Sport hat sich gemausert und ist in den Rang eines Kulturguts erhoben worden. Rituale von Sportanhängern werden als Fankultur bezeichnet. Das Wort Fußballkultur geistert in des Feuilletons herum. Das hätte Brecht wohl nicht gefallen. Für ihn sollte der Sport für sich selbst stehen. Er war der Meinung, dass der Sport seinem Ende entgegenschreite, wenn er zum Kulturgut erhoben wird.

Sebastian Kleinschmidt, Redakteur der Zeitschrift Sinn und Form, hat das Programm der Brecht-Tage zusammengestellt. Natürlich war ihm bewusst, dass Brechts Sportbegriff nicht zeitgeistkompatibel ist. Dennoch verfolgt er mit seiner Veranstaltung ein Ziel, das doch recht hoch gesteckt ist.

Das Faszinierende am Sport sei, so Kleinschmidt, das Affektive, der unvorhersagbare Ausgang eines Wettkampfs, mithin das Urdramatische. Genau das fehle dem Theater der Gegenwart. Er fordert die Rückkehr des Urdramatischen auf die Bühnen. So weit mochte keiner der vortragenden Gäste bei den Brecht-Tagen gehen. Für Norbert Bolz funktioniert der Sport ohnehin nur in ganz bestimmten Grenzen. Innerhalb der Spielzeit, solange ein Wettkampf dauert, würden ganz spezielle Regeln gelten. Das Ideal der Fairness, das jedem Menschen eigen sei, das aber im gesellschaftlichen Alltag in keiner Weise funktioniere, sei Voraussetzung für eine Sportveranstaltung. Paradiesische Zustände herrschen also in diesem Sinne.

Dass der Sport heute als ein Kulturgut zählt, hätte Brecht nicht gefallen

„Der Sport als Paradies des Wesentlichen“ hieß Bolz’ Vortrag. Das Wesentliche sind für Bolz die archaischen Momente im Sport, sein Wettbewerbscharakter, der den Sportlern die Möglichkeit gebe, Ruhm und Anerkennung zu erlangen. Insofern sei Sport etwas gänzlich Unmodernes. Auch für die Zuschauer gebe es im Stadion die Möglichkeit, große Gefühle zu erleben. Im Stadion, solange ein Spiel dauert. Danach aber müssten die Gefühle wieder eingedämmt werden, denn in der modernen Gesellschaft gebe es keinen Platz für Emotionen. Wer dennoch welche zeige, falle auf. Und noch ein wesentliches Element des Sports hat Bolz ausgemacht: Sportler könnten Prominenz nur über ihre Leistung erlangen, während in der modernen Alltagsgesellschaft Popularität und Leistung entkoppelt seien.

Dass viele Intellektuelle, darunter viele Literaten, den Sport und auch die damit verbundenen Massenveranstaltungen durchaus positiv bewerten, das findet vor allem Jochem Hieber äußerst erfreulich. Der Literaturkritiker, der als Stellvertreter André Hellers das Kulturprogramm zur Fußball-WM 2006 auf die Beine stellen soll, geht vor allem bei einem Fußballspiel voll in der Masse auf. Ganz im Sinne von Tim Parks, der sich in seinem Buch „Eine Saison mit Verona“ mit den übelsten Fans eines italienischen Erstligaklubs gemein macht, sieht er sogar in rassistischen Fanbekundungen nichts weiter als Ironie.

Da musste Romancier Martin Mosebach doch widersprechen. Er gab bei einem Streitgespräch mit Hieber den sportfeindlichen Intellektuellen und merkte an, dass es die Aufgabe des Geistes sei, den Sport kritisch zu beobachten und nicht in der Fankultur völlig aufzugehen. Das Rededuell kam wie ein schön inszeniertes Kammerspiel daher und hatte durchaus sportlichen Charakter. Ganz im Sinne des Veranstalters hatte es etwas Urdramatisches an sich – richtig durchgesetzt hatte sich keiner der Debattanten.