Junge Lieder für die Jugend

Heute geht in Oberhausen der erste „Bundesvision Song Contest“ über die Bühne. TV-Moderator Stefan Raab will damit endlich ein nationales Gegenstück zum Grand Prix Eurovision etablieren

VON JAN FEDDERSEN

Die Hürde, die er sich selbst auferlegt hat, ist mächtig hoch. Ein deutsches San Remo schwebt ihm vor, ein Popfestival mit strikt nationaler Ausrichtung, an dem kein einheimischer Star vorbeikommt. Ein Event, an dem teilzunehmen nicht nur eine Ehre wäre, sondern vor allem ökonomische Pflicht. San Remo, seit den Fünfzigerjahren das Italo-Pop-Spektakel schlechthin buhlt die jeweils aktuelle „crema della crema“ des italienischen Showbiz an der Riviera um den Sieg. Im Begleitprogramm ließen sich früher Petula Clark oder Joan Baez sehen, heute sind es Robbie Williams oder Cher.

Raab, der seine TV-Laufbahn als Blödler von Viva begann und inzwischen mit „TV Total“ den in jugendlichen Zirkeln glaubwürdigsten Late Talk bestreitet, will diesem Format nacheifern. Die nahe liegende Idee hatte er, als er voriges Jahr als Komponist und Texter vom deutschen Act beim Grand Prix Eurovision (Max Mutzke mit „Can’t Wait Until Tonight“) in Istanbul nur den achten Platz belegte. Verstehen konnte das keiner, aber so läuft das Spiel: Beim Grand Prix Eurovision wird die künstlerische wie eine sportliche Leistung bewertet, vom Triumph bis zum allerletzten Platz, Ungerechtigkeiten eingeschlossen. So stand für Raab – selbst an der Eurovision einmal als Interpret, dreimal als Macher dabei – fest: Ich kopiere die Eurovision, beschränke sie aber auf Deutschland. Der Name: Bundesvision, in der Aussprache Raabs: „Bundeswischn ßong contest“. 16 Länder, 16 Lieder, 16 Acts. Patenschaften (noch eine Idee, die man vom deutschen Grand Prix gern übernahm) haben die Ministerpräsidenten übernommen.

Die Künstler sind von Raab höchstpersönlich ausgesucht worden: „Nur glaubwürdige Musiker“, hieß es gestern, also Bravo-, MTV- und Radiokompatibles: die Rockband Juli, Popsternchen Sandy, die gemütlichen Klee, den Tom-Jones-Produzenten Mousse T., die nordischen Rapper Deichkind, die finnischen Metal-Cellisten Apocalyptica oder der Berliner Skandalrapper Sido. Das Angebot ist breit gefächert, vom Independent- bis zum Major-Act. Aus dem Konzept fallen nur die thüringischen Volksmusikanten, De Randfichten.

Der Musikindustrie, gebeutelt wie kein anderer Geschäftszweig, der mit Geschmacksachen handelt, kann das nur recht sein: Alle Major-Companies sind dabei, weil sie alle wissen: Wer bei Raab in „TV Total“ zu Gast war, hat hinterher bessere Umsätze als jemand, der dort nicht wohlgelitten ist. Ob die Show allerdings auch beim Publikum jenseits der Pubertät reüssiert, ist offen. De Randfichten sollen es richten, aber es fehlen – manche würden sagen: Gott sei Dank! – jene Stars, die niemals auf MTV gesendet würden.

Raab weiß dies und findet das vorläufig in Ordnung. Eine Andrea Berg, ließ er sich neulich vernehmen, hätte ja mitmachen können – aber sie hätte sich in Nordrhein-Westfalen durchsetzen müssen. Am Ende hat sie nicht gewollt – Pro7 hat ein Zuschauerprofil, in dem sie keine Chance hat. Vermisst werden, anders als in San Remo, die ganz großen Namen, eben Grönemeyer oder Xavier Naidoo. Doch die werden schon noch kommen, wenn vielleicht nicht nächstes, dann übernächstes Jahr, da ist sich Raab gewiss, denn: Erfolg ist immer attraktiv.

Und am Erfolg zweifelt, allen gelegentlich misslichen Proben in der Oberhausener Arena zum Trotz, niemand mehr: Die Künstler werden ihn als solchen nehmen; die Musikindustrie ohnehin; Raab selbstverständlich auch. Er wird die Show genießen – allein schon, um zu hören: „Hallo Magdeburg, habt ihr jetzt die Punkte?“ oder „Hallo Kiel, können wir eure Punkte haben?“

Die Ministerpräsidenten, „Bundesvision“-Paten ihrer Länder, können sich die Hände reiben, bekommen sie doch Erstwähler auf den goldenen Tablett serviert. Am meisten freuen dürfte sich die Patin von Schleswig-Holstein, Heide Simonis. Die will in einer Woche wiedergewählt werden.