„Die Aufregung über Nordkorea ist übertrieben“ sagt Selig S. Harrison

Pjöngjang behauptet, Atomwaffen zu haben – und will so gegen die USA punkten. Das ist verständlich und gefährlich

taz: Herr Harrison, wie bewerten Sie Nordkoreas Behauptung, Atomwaffen zu besitzen, und Pjöngjangs Ankündigung, sich von den Sechsergesprächen zurückzuziehen?

Selig S. Harrison: Die Aufregung über Nordkoreas Behauptung, Atomwaffen zu haben, ist übertrieben. Denn das hat Pjöngjang ähnlich schon zuvor gesagt, als es behauptete, eine nukleare Abschreckung zu haben. Neu ist, was Nordkorea zu den Gesprächen sagt. Doch das Wichtigste ist, dass Nordkorea nicht mit einem Atomtest droht.

Sie finden die Erklärung positiv?

Das nicht gerade – aber eben auch nicht provozierend. Die Nordkoreaner erklären, dass sie zurzeit nicht an den Gesprächen teilnehmen wollen, weil sie bei den USA keine Zeichen für den Wandel einer Position sehen, die Pjöngjang als unflexibel und feindlich betrachtet. Nordkorea wertet den US-Vorschlag vom Juni 2004 als einseitige Abrüstung Nordkoreas. Er sieht die Beendigung des nordkoreanischen Atomprogramms vor, bevor die USA Gegenleistungen erbringen. Dabei sagen die USA nicht, worin diese bestehen. Nordkorea will so nicht verhandeln, deutet aber an, dazu bereit zu sein, wenn sich die Atmosphäre verbessert.

Ist es nicht trotzdem beunruhigend, dass Nordkorea klipp und klar behauptet, Atomwaffen zu haben?

Sie behaupten es, aber auf sehr allgemeine Art. Sie wollen offenbar ihre Verhandlungsposition stärken und die USA von einem Angriff abschrecken. Nordkorea hat aber noch nie einen Atomtest durchgeführt. Wir wissen nicht, ob sie wirklich Atomwaffen haben, ob sie entsprechende Raketen oder Bomben haben oder fähig sind, einen Atomtest durchzuführen. Das jetzige Statement ist etwas kategorischer als frühere, aber nicht spezifischer. Zugleich signalisieren sie, dass sie über ein Ende des Atomprogramms verhandeln wollen, aber nicht unter den jetzigen Umständen.

Was will Nordkorea denn?

Dass die USA die Beziehungen normalisieren. Aus nordkoreanischer Sicht kann man nicht erwarten, auf Atomwaffen zu verzichten, wenn die USA sich weigern, mit Nordkorea diplomatische Beziehungen aufzunehmen. Auf der US-Seite gibt es in der Tat keine Anzeichen für eine Normalisierung der Beziehungen. Aus nordkoreanischer Sicht deutet alles auf das Ziel des Regimewechsels hin.

Was bedeutet Nordkoreas Erklärung für China?

China ist in einer sehr schwierigen Position. Peking konnte die USA bisher nicht dazu bewegen, Nordkorea etwas Positives anzubieten, sodass Pjöngjang sein Atomprogramm beenden kann. Jetzt wird Nordkorea rigider, was Chinas Position erschwert.

Also ist das ein nordkoreanischer Affront gegen China?

Nein, Pjöngjang sagt damit eher zu Peking: Ihr drängt uns, mit den USA zu reden, aber die kommen uns nicht entgegen. Wenn ihr aber darauf besteht, dass wir mit ihnen reden: Was bietet ihr uns dafür? Ein riskantes Spiel. Möglich, dass China verärgert reagiert, aber das bezweifle ich. China wird eher an die Geduld der USA appellieren und betonen, dass Nordkorea die Tür für Verhandlungen nicht zugeschlagen hat. China erkennt, dass Druck auf Nordkorea nicht produktiv ist …

sondern Anreize?

Ja, und die gibt es bisher von den USA nicht.

Südkorea bietet dem Norden aber doch Geschäfte an?

Ja, die Südkoreaner werden damit weitermachen, auch wenn sie wie China nun in einer schwierigeren Position sind. China und Südkorea setzen weiter auf Diplomatie und werden versuchen, die USA davon abzuhalten, im UN-Sicherheitsrat Sanktionen durchzusetzen. Sie wollen keinen Konfrontationskurs gegen Nordkorea. Denn Nordkoreas Erklärung ist nicht drohend.

Welchen Schritt erwarten Sie jetzt von den USA?

Vielleicht versuchen die USA Japan zu bewegen, seine Hilfe an Nordkorea zu beenden. Japan kann am leichtesten von den USA beeinflusst werden.

Wie bewerten Sie die Reaktion von Condoleezza Rice, die sagte, die USA hätten nicht vor, Nordkorea anzugreifen?

Ihre Reaktion war vorsichtig, aber Nordkorea wird sie dennoch als bedrohlich interpretieren. Denn die USA müssten eigentlich sagen, dass sie die friedliche Koexistenz mit Nordkorea wollen. Aber das sagen sie nicht, weil es nicht ihre Position ist. Vizepräsident Cheeney und andere setzen ganz klar auf Regimewechsel. Das ist das Problem. Nordkorea und die USA sind sehr weit auseinander. Das ist gefährlich, aber ich erwarte keine schnelle Eskalation.

Weil die USA mit dem Irak beschäftigt sind?

Ja.

Was will Nordkorea mit dieser Erklärung letztlich erreichen? Zeit gewinnen, um Bomben zu bauen oder die USA zu Angeboten zu drängen?

Die Nordkoreaner glauben, vielleicht irrtümlich, dass sie jetzt feilschen. Aus ihrer Sicht müssen sie ihre Position gegen die USA stärken. Aber so wird das nicht funktionieren. Für Nordkorea wäre es besser zu verhandeln.

Wie geht es jetzt weiter?

Schwer zu sagen. Wenn sich die USA zurückhalten und die Chinesen auf neue Gespräche hinarbeiten, können diese in den nächsten drei Monaten stattfinden. Wenn die USA aber provokativ reagieren und US-Politiker scharfe Statements abgeben, wird es viel schwieriger. Es ist eine gefährliche Situation.

INTERVIEW: SVEN HANSEN