Nicht verhandelbare Lebensstile

SCHRIFTEN ZU ZEITSCHRIFTEN Polar und Transit leuchten das Verhältnis von Ökologie und Gerechtigkeit aus

Der Reigen in Transit beginnt mit Anthony Giddens’ Aufsatz „Klimapolitik“. Weil der Markt keine langfristige Perspektive kennt, kann nur der Staat eine sinnvolle Klimaschutzpolitik garantieren, so der britische Soziologe. Dabei soll er nicht wie in Sowjetzeiten alles selbst planen, sondern Vorgaben machen, deren Einhaltung überwachen und notfalls auch mal selbst gestalten. Weil die Zeit drängt, schlägt Giddens parteiübergreifende Kommissionen vor.

Dagegen zeigen Claus Leggewie und Harald Welzer auf, dass es weder die westlichen noch die neuen Kapitalistenstaaten Russland und China bisher geschafft haben, bei der Klimapolitik den Hebel umzulegen. Insofern sei es verfehlt, von Staaten in ihrer bisherigen Form die Rettung des Klimas zu erwarten. Auch das Versprechen, dass eine grüne Wirtschaft immer weiter wachsen kann und sich lebensweltlich nichts ändern muss, verweisen die beiden ins Reich der Illusion. Vielmehr gehe es um Rückbau. Der sei ohne „Revitalisierung von Teilhabe und Mitsprache“ nicht zu bewältigen. Nur wenn die Bürger die Klimapolitik selbst mitgestalten, wird sie ihnen nicht als erzwungene Verzichtsleistung erscheinen.

Doch der Aufsatz des Politologen Ingolfur Blühdorn geht mit ebendiesen Bürgern hart ins Gericht. Die Ölkrise, Tschernobyl und der Erdgipfel in Rio – zu vielen Zeitpunkten wurde eine umweltpolitische Wende erwartet. Tatsächlich aber ist der ökologische Fußabdruck der Menschen in den fortgeschrittenen Konsumentendemokratien immer größer geworden.

Heute herrsche ein stiller Konsens, dass „Lebensstile, seien sie nun nachhaltig oder nicht, im Prinzip nicht verhandelbar“ seien. Besonders pessimistisch muss dabei stimmen, dass ausgerechnet diejenigen, die umweltpolitisch am besten informiert sind, die meisten Ressourcen verbrauchen, wie Nadine Pratt aufzeigt.

So schließt sich der Kreis mit Oliver Gedens Plädoyer, die Verantwortung für Klimapolitik nicht zu individualisieren, weil das allenfalls symbolischen Charakter haben könne. Nicht bewusste Ökostromkunden hätten beispielsweise den Boom der erneuerbaren Energien in Deutschland ausgelöst, sondern die staatlich regulierte Einspeisevergütung. Weil Klima- und Finanzkrise gezeigt hätten, dass der Markt bei langfristigen Fragen versagt, gäbe es nun „eine Chance für die Wiedergewinnung des Politischen“, so Ge- den – und nun könnte man die Lektüre wieder bei Giddens beginnen.

Etwas aus dem Rahmen fällt der sehr interessante Aufsatz von Wolfgang Sachs, der sich mit der Frage der globalen Gerechtigkeit beschäftigt. Aus den allgemeinen Menschenrechten leitet Sachs eine klare Prioritätensetzung ab: Überleben geht immer vor Profit, Menschenwürde vor Machtgewinn. Nicht für eine weltweite Wohlstandsvermehrung sei die Weltgemeinschaft verantwortlich, sondern dafür, grenzüberschreitend Schaden zu vermeiden.

Was zunächst als Minimalforderung erscheint, enthält im Prinzip – weil kaum von jemandem abzulehnen – große politische Sprengkraft.

Dagegen widmen sich die Beiträge der Frankfurter Zeitschrift Polar vor allem kulturellen Fragen. Jürgen Trittin kreist um unterschiedliche Naturbegriffe, Reimar Stange und Christine Heidemann setzen sich mit Ökologie und Kunst auseinander. Viele der beschriebenen Werke wirken banal, hilflos oder agitpropmäßig. Amüsant geschrieben ist der Bericht über den täglichen Krieg im Alltagsstau von Kalifornien. Alles ganz nett – doch zurück bleibt hier vor allem Desorientierung. ANNETTE JENSEN

Transit. Europäische Revue: „Klimapolitik und Solidarität“. Nummer 36. Wien/Frankfurt am Main 2009. 200 Seiten, 14 €

Polar: „Ökologie und Freiheit. Wie leben“. Nummer 6. Frankfurt am Main 2009. 192 Seiten, 12 €