Hartz IV bekommt Mängelliste verpasst

Sozialverband: Die Arbeitsmarktreform benachteiligt Behinderte. Bundesregierung: Wir beobachten weiter

BERLIN taz ■ Der Sozialverband Deutschland (SoVD) geht davon aus, dass bis zum Sommer die Zahl der Alg-II-Berechtigten „nach unten korrigiert“ wird, erklärte der SoVD-Vorsitzende Adolf Bauer gestern. Auch der Sozialverband vermutet also, dass in der Hartz-IV-Umsetzungshektik zu Jahresbeginn zu viele Behörden lieber zu großzügig als zu geizig waren. Deshalb könnten sie positive Bescheide an Langzeitarbeitslose verschickt haben, die vielleicht kein Recht auf das neue Arbeitslosengeld II haben.

Ähnliche Hinweise kamen schon Anfang Januar aus dem Wirtschaftsministerium. Denn da hatte sich herausgestellt, dass es mehr Alg-II-Berechtigte als prognostiziert gebe und sich die Kosten der Hartz IV genannten Arbeitsmarktreform also um mehrere Milliarden Euro erhöhen würden. Wenn Kommunen und Arbeitsagenturen erst einmal die Umsetzung des komplexen Gesetzeswerks eingeübt hätten, werde es also „mehr ablehnende Bescheide“ geben, erklärte Bauer gestern.

Bislang seien es vor allem die „Optionskommunen“, die bei der Bearbeitung der Anträge auf Alg II „besonders genau“ seien, also Strenge an den Tag legten. Optionskommunen sind jene 69 Städte oder Landkreise, die die Betreuung der Langzeitarbeitslosen ganz alleine übernehmen und auch nicht mit der Arbeitsagentur zusammenarbeiten wollen. Bauer warf vor allem diesen Kommunen vor, dass sie die Arbeitslosen ohne Einzelfallprüfung aufforderten, sich eine kleine oder billigere Bleibe zu suchen – selbst wenn ihre Wohnungen kaum von den gesetzlich zugelassenen Maßen abwichen. Städtenamen und Zahlen nannte Bauer aber nicht.

Der SoVD rügte gestern außerdem, es gebe immer noch Probleme mit der Krankenversicherung für bestimmte Betroffene, deren Widerspruch gegen einen ablehnenden Bescheid noch unbearbeitet sei. Erwerbsfähige, aber arbeitslose Behinderte bekämen in den Optionskommunen ihre „berufliche Reha“ – damit sind Hilfen zur Arbeitsaufnahme gemeint – nicht mehr.

Gegen das Aussetzen der „58er-Regelung“ sind mit Unterstützung des SoVD bislang drei Klagen anhängig. Hiervon sind ältere Menschen betroffen, die mit dem Arbeitsamt eigentlich vertraglich vereinbart hatten, dass sie Arbeitslosenhilfe bis zur (Früh)rente bekämen. Nun sind sie auf Alg II hinuntergesetzt. „Vertragsbruch“, sagte Bauer.

Andere Kritikpunkte des SoVD sind bekannt: Die Regelsätze – die konkrete Höhe der Leistungen – gelten als nicht mehr existenzsichernd. Mitte des Jahres, so hat Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) angedeutet, würden sie „gegebenenfalls“ an die jüngsten Verbrauchsstatistiken angepasst.

Die ungleichen Sätze in Ost und West wurden sogar schon von Regierungsmitgliedern in Frage gestellt. Über eine Verbesserung der Zuverdienstmöglichkeiten will die Unions-Chefin Angela Merkel mittlerweile mit sich reden lassen. Clements Pressesprecherin erklärte gestern, dass die Regierung für entsprechende Nachbesserungen „offen“ sei – noch aber sei man in der Beobachtungsphase. Der Ombudsrat – das Hartz-IV-Wächtergremium – hat für März erste Änderungsempfehlungen angekündigt.

Wenig sagte Bauer gestern über die mögliche Fusion der beiden Sozialverbände SoVD und Sozialverband VdK: Es liefen „Gespräche auf Arbeitsebene“. Seit Exgesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) als wichtigster Unions-Gesundheitspolitiker verstoßen wurde, hieß es, er wolle Chef eines fusionierten Großsozialverbands werden. Vorläufig ist er Chef des Sozialverbands VdK Bayern geworden.ULRIKE WINKELMANN

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