Früherer Helmut Kohl-Berater geht zur Linkspartei

PARTEIWECHSEL In letzter Zeit mussten die Sozialisten einige Abgänge verkraften. Umso mehr feiern sie, dass ein Konservativer zu ihnen kommt

DRESDEN taz | Der sächsischen CDU muss die Personalie schwer im Magen liegen. Vor sechs Jahren hatte sie den vermeintlich erzkonservativen Historiker und Theologen Gerhard Besier von Heidelberg als Direktor an das Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung geholt. Im Jahr 2007 fiel er in Ungnade, sein Vertrag wurde nicht verlängert. Nun trat der 61-Jährige der sächsischen Linken bei. Am vergangenen Wochenende wählte ihn ein Nominierungsparteitag auf den sicheren Listenplatz 18 für die Landtagswahl Ende August.

„Die Linke ist offener, als ich vermutet habe“, begründet Besier seinen späten Wandel. Nach wie vor sei er „kein waschechter Sozialist, das wissen doch alle“. Dieser Schritt sei aber mehr als der Selbstversuch eines Freigeistes, der gern wider den Stachel löckt. Noch vor wenigen Jahren hatte er der PDS „illusionäres Denken“ und ein „nicht tragfähiges Programm“ bescheinigt. Auch jetzt weiß er, dass die Partei von Flügelkämpfen durchgeschüttelt wird. In diesem Disput aber sieht er eher ein Zeichen von Stärke.

Denn vor allem in der ostdeutschen Gesellschaft beklagt der libertär-amerikanisch geprägte Professor fortgesetzte autoritäre Strukturen und Schubladendenken. Borniertheit, Bigotterie und muffiges Denken in Sachsen lösten bei ihm stets ätzenden Spott aus. „Wir verraten all das, was wir den Menschen 1990 versprochen haben“, glaubt Besier. Man dürfe in seiner Situation beispielsweise „keine Angst vor gesellschaftlicher Abstrafung haben müssen“. Dann erst beginne die vor 20 Jahren versprochene Freiheit.

Was Ausgrenzung bedeutet, hat der international renommierte Wissenschaftler persönlich erfahren. Mit den Kirchen überwarf sich der frühere Berater von Helmut Kohl wegen seiner Veröffentlichungen über Kirche, Staat und Stasi in der DDR. Kurz nach seinem Amtsantritt am Hannah-Arendt-Institut lobt er, „ungeschickt“, wie er heute einräumt, Scientology als Vorkämpferin für Religionsfreiheit.

Bei der sächsischen Union fiel er noch wegen anderer Ketzereien in Ungnade. Er sagte, die europäische Kultur habe nicht nur christliche Wurzeln, forderte einen Schlussstrich unter die Stasi-Aktendiskussion und bekam den Unmut der Sachsenunion zu spüren.

Umso größer die Genugtuung, dass ihm die Universität Lund in Schweden Anfang dieses Jahres einen Ehrendoktor wegen seines Eintretens für Religionsfreiheit verlieh, insgesamt sein dritter Doktortitel. Als Gastredner war er schon vor fünf Jahren bei einem Bildungskongress der damaligen PDS aufgetreten. Anfang dieses Jahres beriet Besier die sächsische Linke bei ihren von Altstalinisten heftig attackierten Thesen zum Umbruch 1989. Da hatte er an der TU Dresden bereits eine Professur für Europastudien inne, für die er unter anderem Polnisch lernte. In der künftigen Landtagsfraktion der Linken soll er den vakanten Bereich Wissenschaft und Hochschule besetzen. Auf die Auseinandersetzungen mit der CDU freut er sich schon. Es ficht ihn auch wenig an, dass die Welt und der Focus, für die er schrieb, ihm die Mitarbeit kündigten und von „Verrat an den Freunden“ schrieben. All das ist für ihn nur „wütendes Heulen der konservativen Horden“. MICHAEL BARTSCH