2 Millionen, 3 Punkte

Beim 2:1 des HSV gegen den VfB Stuttgart echauffiert sich Matthias Sammer über den Schiedsrichter – hält sich aber „angesichts der sensiblen Situation“ mit öffentlichen Wutkaskaden zurück

AUS HAMBURG MARKUS JOX

Matthias Sammer war wieder einmal bedient. Schiedsrichter Uwe Kemmling aus Burgwedel und seine Gehilfen hatten den Trainer des VfB Stuttgart, der zwar noch immer nicht unbedingt als introvertiert gilt, aber sein Motzki-Image aus Dortmunder Tagen doch eigentlich abgelegt haben wollte, sukzessive zur Weißglut getrieben. In der 60. Minute hatte der Unparteiische den Schwaben einen klaren Foulelfmeter verweigert, als HSV-Torwart Martin Pieckenhagen Imre Szabics im Strafraum in die Beine gegrapscht hatte. Eine Viertelstunde vor dem Ende wiederum verwies der Schiri den Stuttgarter Boris Zivkovic wegen wiederholten Foulspiels des Platzes – eine zumindest harte Entscheidung. Sammers durch zusammengepresste Lippen gepeitschter Kommentar zeugte vom mühsam unterdrückten Zorn: „Wenn ich etwas dazu sage, wird’s problematisch mit meiner Weiterbeschäftigung als Trainer.“

Kemmling hatte den HSV-Torhüter unmittelbar nach der umstrittenen Strafraum-Situation zur Rede gestellt und ihn gefragt, ob der „mit der Hand drangewesen“ sei. Dieser nickte artig und ohne rot zu werden – der Schiedsrichter war’s zufrieden und entschied auf Abstoß. „Von meinem Gefühl her war ich mit der Hand dran“, schwadronierte Pieckenhagen noch nach der Partie in die Fernsehkameras, um mit lausbübischem Grinsen hinterherzusetzen: „Aber dann hätte der Schiri vielleicht Ecke geben müssen.“

Sammer jedenfalls war vor seiner Trainerbank herumgesprungen wie ein Derwisch und wiederholt zu den Premiere-Kameras geeilt: „Elfmeter, oder?“, stieß der rotgesichtige Trainer mantraartig aus. Ob der „sensiblen Situation“ rund ums Schiedsrichterwesen wolle er sich gleichwohl tapfer auf die Zunge beißen und nichts sagen, gelobte Sammer hernach. Ein klein wenig von seinem Furor ließ Sammer dann allerdings doch entweichen. Es sei doch ein Unding, so der Trainer, dass „so ein Urteil einen Tag vor dem Bundesligaspiel gesprochen wird“. Ob er mit der Anspielung auf das Urteil des DFB-Sportgerichts vom Freitag andeuten wollte, dass sich Schiri Kemmling angesichts des hoyzeresken Unrechts, das dem HSV in Paderborn widerfahren und das auch von der Justiz nicht mehr gutzumachen war, mit Pfiffen gegen die Hamburger zurückgehalten habe, bleibt Sammers Geheimnis. Sein Spieler Silvio Meißner wurde mit Blick auf den HSV deutlicher: „Gestern zwei Millionen, heute drei Punkte“, ketzerte er.

Der VfB jedenfalls verharrt in der Bundesliga bei 35 Punkten und hat mithin die Tuchfühlung zur Tabellenspitze so langsam verloren, während die Hamburger mit 34 Punkten bereits heftig an den Uefa-Cup-Plätzen schnuppern. Die Tore für den HSV erzielten Sergej Barbarez (15.) und Mannschaftskapitän Daniel van Buyten (54.), nachdem Szabics die Stuttgarter, die kurzfristig auf den verletzten Nationalstürmer Kevin Kuranyi hatten verzichten müssen, in Führung gebracht hatte. Über den entscheidenden Kopfballtreffer des Hamburger Belgiers geriet selbst der zeternde Sammer ins Schwelgen: „Ich weiß nicht, wie man das hätte verhindern können“, räumte er ein. „Ich glaube, der stand da sieben Meter in der Luft – so, wie der das Ding reinhaut, da geht normalerweise das Flutlicht aus.“

HSV-Coach Thomas Doll sprach vom „Riesenglück, dass wir nach Standardsituationen so präsent waren“. Van Buytens Treffer nach einem Mahdavikia-Freistoß sei „das fünfte Tor nach einer Standardsituation unter meiner Regie“ gewesen“, freute sich Doll und verwies lapidar darauf, dass derlei „Standards“ im „modernen Fußball“ eben wichtig seien. Man habe in Hamburg derzeit „nicht nur elf Mann, sondern auch eine starke Bank“, freute sich „Dolly“ und konstatierte freudig erregt, dass „die Jungs brennen“. In der Tat ist es erstaunlich zu beobachten, wie lustvoll und selbstbewusst die „Rothosen“ nur wenige Wochen nach dem pomadigen Gekicke der Toppmöller-Dämmerung aufspielen.

Was schließlich die ganze Hoyzerei anbetrifft, gaben sich die Hanseaten mit der Entscheidung des Sportgerichts zufrieden. Zwar kann der HSV in den laufenden DFB-Pokal nicht mehr eingreifen, er darf sich aber über einen warmen Geldregen in Höhe von zwei Millionen Euro freuen, darunter die Einnahmen eines Länderspiels der deutschen Nationalmannschaft in der AOL-Arena. „Unser Präsident Bernd Hoffmann hat das Optimale für uns herausgeholt“, sagte Thomas Doll. Und strahlte.

Hamburger SV: Pieckenhagen - Schlicke, Boulahrouz, van Buyten, Klingbeil (46. Mpenza) - Mahdavikia (78. Brecko), Benjamin, Beinlich, Jarolim - Barbarez, Takahara (76. Lauth)Stuttgart: Hildebrand - Hinkel, Stranzl, Zivkovic, Gerber (82. Gomez) - Soldo - Tiffert, Hleb, Meira, Meißner - SzabicsZuschauer: 48.214; Tore: 0:1 Szabics (15.), 1:1 Barbarez (17.), 2:1 van Buyten (54.); gelb-rote Karte: Zivkovic (73. wegen wiederholten Foulspiels)