Moskau is in Europe

Berlinale Star-Album (3): Luidmila Tsvetkova

Sind wir bereit? Die Luft vibriert. Ein Pappbecher, Somedrink To Go, wirbelt durch die Luft. Es ist ein warmer Spätwintersturm, der Regie führt an diesem ersten Berlinale-Wochenende. Sind wir bereit? Für ein Wochenende, einen Tag, zweimal zwei Stunden Europa?

Berlin – Santiago de Compostela – Istanbul – Moskau. „Spacibo!“ Luidmila Tsvetkova lacht. Ihre Augen leuchten hinter den Gläsern ihrer großen, knallroten Brille. Hände klatschen. Einige jubeln. Viele, obwohl sie ohne Übersetzungsgerät gekommen sind, steckt ihr Lachen an. Was hat sie gerade erzählt? Eine Anekdote, über eine Begegnung mit der russischen Polizei? Eine aus ihrem Leben, in Moskau, als Schauspielerin? Sie lachen mit.

Luidmila Tsvetkovas Hände ruhen wieder. Wirbeln nicht mehr durch die elekrotrockene Luft im Berliner Hyatt. Ihre Stimme: wieder zahm. Ein bisschen rau. Russische-Zigarretten-rau. Sie stöpselt das Übersetzungsgerät zurück in ihre Ohren. Luidmila Tsvetkova, die rabiatpfiffige Rentnerin in Hannes Stöhrs Wettbewerbsbeitrag „One Day in Europe“ ist ihr ganz eigener Film. Moskau is in Europe. Mehr muss man vielleicht gar nicht verstehen. Nicht jetzt.

Moskau – Kreuzberg – Bukarest – Tallinn. „Wodka. Zeit für einen Wodka.“ Mait Laas grinst. Ein Filmkollege drängt sich an ihm und all den anderen Wodka-Prosecco-Bier-Trinkern vorbei. „Estoooniaaa!“, ruft er – „Brutal!“, bekommt er zu hören. Die Gruppe lacht. „Estland, das sind meine Wurzeln“, sagt Mait. Auf Deutsch. In Wien habe er die Sprache gelernt, erzählt der Filmemacher. „Nationale Identität ist doch etwas Schönes.“ Mait ist 35. Leidenschaftlicher Animationsfilmer. „Lost and Found“. Ein Kurzfilmprojekt aus sieben osteuopischen Ländern. Sieben Regisseure, sieben Kurzfilme, ein Thema: Generation.

Jetzt feiern sie ihr europäisches Baby. Mait und die anderen Filmemacher – Bulgarien, Rumänien, Bosnien-Herzegowina, Ungarn, Serbien-Montenegro, Estland – haben zwei Jahre daran gearbeitet. Zusammen. „Wir haben alle eine andere Identität und trotzdem“, erzählt Mait, „trotzdem haben wir gemerkt, dass unsere Probleme, unsere Wünsche, unser Alltag sehr ähnlich sind. East meets West. Oder vielleicht doch umgekehrt?

Berlin. Potsdamer Platz. Hannes Stöhr spricht. Schwäbisch-Spanisch-Hochdeutsch-Englisch-Spanglisch-Franglisch. „The European Way of Life – den haben wir alle in unserem Film gesucht.“ Und, wie sieht er aus? „Weiß ich nicht. – Noch nicht.“ Fußball. Sprachverwirrungen. Trotzdem sehr viel zu lachen. Zu verstehen. „Wir brauchen eine gemeinsame Sprache“, sagt Hannes Stöhr: „European Englisch.“

„Spacibo!“ Das wollte Luidmila Tsvetkova sagen. Ein Dank, der ihr am Herzen lag. Dafür, dass Hannes Stöhr sie in den Film geholt habe. „Obwohl ich doch kein Star bin“, sagt sie.

Draußen heult der Sturm. Berlin, Moskau, Istanbul, Tallinn, Belgrad, Madrid, London – Europa mittendrin.

SUSANNE LANG