Blair will Torys rechts überholen

Einen sicheren Wahltermin hat Großbritannien noch nicht, aber der Wahlkampf hat schon begonnen. Das Hauptthema setzt überraschenderweise die schwache konservative Opposition: Einwanderung

VON RALF SOTSCHECK

In Großbritannien hat der Wahlkampf begonnen. Zwar hat Premierminister Tony Blair noch immer nicht den Wahltermin verkündet, aber alles deutet auf den 5. Mai hin. Und auch die Ausrichtung des Wahlkampfs wird immer deutlicher: Auf einem kleinen Labour-Parteitag im nordenglischen Gateshead räumte Blair gestern ein, dass er sich seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 zu sehr auf die Außenpolitik konzentriert habe. Das soll nun anders werden.

Am Freitag flog Blair mit einigen Kabinettskollegen in einem großen roten Hubschrauber zu sechs Wahlkreisen mit wackliger Labour-Mehrheit. Bei jedem Zwischenstopp umarmte er mehrere Kinder, zeigte kurze Wahlkampfvideos und unterzeichnete ein Dokument mit einem Wahlversprechen, bevor er weiterflog. Bei den Versprechen steht die Familie im Mittelpunkt: „Größerer Wohlstand für eure Familien; schnellere ärztliche Behandlung für eure Familien; mehr Sicherheit für eure Gemeinden; der beste Start ins Leben für eure Kinder; bessere Berufschancen für eure Kinder.“ Erläuterungen zu diesen Slogans sollen diese Woche folgen. Lediglich beim sechsten Versprechen weiß man jetzt schon Bescheid: „Sichere Grenzen für euer Land.“ Die Labour-Regierung will nämlich die Türen für ungelernte Einwanderer schließen. Ein Punktesystem soll die bisherige Praxis der Arbeits- und Studienerlaubnis ablösen, kündigte die Regierung letzte Woche an.

Wer Abitur hat, fünf Jahre in Großbritannien gearbeitet hat und Kenntnisse der englischen Sprache und britischen Kultur nachweisen kann, erhält demnach für sich und seine Familie ein unbegrenztes Aufenthaltsrecht. Ungelernte hingegen dürfen ihre Familien nicht mitbringen, keine Sozialhilfe kassieren und müssen nach fünf Jahren wieder ausreisen. Einwanderer aus bestimmten Ländern müssen sogar Geld hinterlegen, das sie verlieren, wenn sie sich nicht rechtzeitig wieder verdrücken. Darüber hinaus soll die Gebühr für Immigrationsanträge auf 500 Pfund verdoppelt werden. Noch schwer wiegender sind die Einschränkungen für Flüchtlinge: Ihr Status soll alle fünf Jahre überprüft werden.

All das kann vor den Wahlen nicht mehr in Kraft treten, ist also ein Wahlkampfmanöver. Und dies wurde der Regierung von der konservativen Opposition diktiert: Die Einwanderungspolitik, in der die Torys noch restriktiver sein wollen als Labour, ist das einzige Thema, bei dem Umfragen den Konservativen eine höhere Kompetenz bescheinigen als Labour.

Insgesamt liegt Labour in Umfragen komfortable neun Prozent vorn, und nichts deutet darauf hin, dass dieser Vorsprung bis zu den Wahlen nennenswert dahinschmelzen könnte. Die größte Gefahr droht der Regierung von der Wahlmüdigkeit. Blairs Stellvertreter John Prescott sagte gestern deshalb, es sei höchste Zeit, mit der Angstmache zu beginnen. „Wenn sich die Menschen ihrer Stimme in dem Glauben enthalten, dass Labour sowieso gewinnt“, sagte er, „könnten sie unter einer Tory-Regierung aufwachen.“

Über den Irak, den öffentlichen Verkehr, den Wohnungsbau, die Bürgerrechte, Renten und Umwelt steht nichts im Labour-Wahlprogramm. Auch über die Steuerpolitik ist bisher noch kein Wort gefallen, doch das wird Schatzkanzler Gordon Brown bei der Vorstellung seines Haushaltsplans im März wohl nachholen. Im Gegensatz zu Blair, der persönliche Verbesserungen für die Bürger zum Hauptthema macht, rückte Brown in seiner Rede auf dem kleinen Parteitag die Entwicklungspolitik für Afrika in den Mittelpunkt.