In der Prinzenrolle

HOMMAGE Sein Reich hieß Saint-Germain: zwei Arte-Dokus zum 50. Todestag des französischen Intellektuellen Boris Vian (ab 21 Uhr)

VON JENS MÜLLER

Für ein Jahrzehnt war der kleine Pariser Stadtteil Saint-Germain einmal der Inbegriff kulturellen Lebens. Juliette Gréco, der Existenzialismus, das Café de Flore. Sartre war der König dieses Reichs, der Prinz von Saint-Germain aber hieß: Boris Vian.

Wie lange dieses Regnum nun schon zurückliegt, wird offenbar, wenn sich in der kommenden Woche, am 23. Juni, Vians Todestag zum 50. Mal jährt. Arte nimmt dieses Jubiläum heute zum Anlass einer verfrühten Hommage aus zwei Vian-Filmen, deren Reihenfolge aus didaktischer Sicht etwas verwundert. Gewiss ist nämlich der schillernde „Prince Boris“, dieser umtriebige Tausendsassa – Ingenieur, Poet, Romanautor, Chansonnier, Jazztrompeter, Autonarr, Filmschauspieler, Maler, Journalist – diesseits des Rheins nicht in gleicher Weise kulturelles Allgemeingut wie in seinem Heimatland. Umso naheliegender wäre es doch, zuerst den konventionelleren, informativeren Film zu zeigen und anschließend das Experiment. Nicht so Arte.

Der Kulturkanal kündigt „Pariser Luft mit Boris Vian“ von Philippe Pouchain und Yves Riou (21 Uhr) als „Musikdokumentation“ an, doch führt der filmische Trip ins nebelverhangene Grenzland zwischen Dokumentar- und Spielfilm. Alles ist hier Inszenierung. Die handelnden Figuren sind sie selbst und sie sind es nicht. Der in Frankreich bekannte Journalist Antoine de Caunes schaltet des Morgens den Fernseher ein und traut seinen Augen nicht: Boris Vian auf allen Kanälen. Da klingelt auch schon das Telefon, der Intendant, de Caunes soll am selben Abend eine Sondersendung mit Boris-Vian-Chansons moderieren. Erst mal raus in die Stadt, Interviews mit Leuten von der Straße, die alle auf wundersame Weise Vian-Experten sind. Auch Promis wie Ute Lemper und Iggy Pop kommen zu Wort, viele andere dürften deutschen Zuschauern unbekannt sein. Und wer nicht schon weiß, dass Boris Vian Pataphysiker war, Anhänger jenes absurdistischen Konzepts zwischen Philosophie, Wissenschaft und Kunst, der wird auch mit der Episode über den Gottesbeweis mit mathematischen Mitteln nicht sofort etwas anfangen können.

Für Vian-Einsteiger ist der Film eine Geduldsprobe. Was kein Grund sein sollte, ihn nicht zu sehen. Schließlich sind uninspirierte, einlullende Tierpflegerdokus derart allgegenwärtig geworden, dass jede Irritation Respekt verdient. Und wenn die so albern, skurril, schamlos und sympathisch daherkommt, dann mag man ihr trotz Überforderung nicht böse sein. Man begreife sie vielmehr als musikalische, humorige Nummernrevue – und erwarte sich die Aufklärung vom zweiten Film.

„Boris Vian – Ein wildes Leben in Saint-Germain“ von Philippe Kohly (22.30 Uhr) mischt alte Fotografien, Buchcover, Filmplakate sowie neu gedrehte Einstellungen von französischer Landschaft und den Dächern über Paris oder St. Tropez zu einem süffigen Amalgam. Wichtigstes Stilelement: die alles untermalende Jazzmusik, wohl die größte Leidenschaft im kurzen, 39-jährigen Leben des Boris Vian. Gut gewählt ist bereits die Selbstauskunft Vians zum Auftakt: „Ich hatte so wenig Ahnung von Mathematik wie von Italienisch. Ich musste also Mathematik lernen, um Ingenieur werden zu können. Das war praktisch: Ich wollte später ein paar dumme Sachen machen. Mit diesem Diplom konnte ich das bequem tun.“ Ein Mann mit so viel Schalk verdient einen Hommageabend abseits der Sehgewohnheiten.