Sanft geschoben, nicht geprügelt

YOUNGSTAR-FESTIVAL Auf Kampnagel in Hamburg machen Sylvie Kretzschmar und Feridun Zaimoglu mit Schülern Theater. Auf die Bühne kommen reale Geschichten mit einem Dreh ins Abstrakte und Allgemeine

Was die Stücke eindringlich zeigen, ist das Schwanken der Jugend. Wie kurz sind die Wege zwischen Erfolg und Katastrophe, zwischen Spiel und blutigem Ernst!

VON MAXIMILIAN PROBST

Schülertheater kann schon wehtun. Wie schmerzlich der Anblick, wenn große Kunst in Kinderschuhen auf die Bühne gescheucht wird! Wenn ihre reifen Züge sich unter der Maske faltenloser Ahnungslosigkeit zeigen müssen! Und doch kann Schülertheater mehr sein als Theater von Schülern für Schüler, wie sich zurzeit auf Kampnagel in Hamburg erfahren lässt. Was auch daran liegt, dass beim Youngstar-Festival professionelle Kulturarbeiter am Werk sind.

Der Musiker Jacques Palminger hat mit einer gecasteten Schülerschar zusammengearbeitet, der algerisch-französische Choreograf Samir Akika mit den Jugendlichen der HipHop Academy Billstedt und die Autoren Feridun Zaimuglu und Günter Senkel mit Schülern der Gesamtschule Kirchdorf/Wilhelmsburg, die wegen ihres hohen Migrantenanteils bekannt ist.

Das erinnert ein wenig an den Choreografen Roysten Maldoom, der 2006 mit Problem-Kids ein Strawinsky-Ballett der Berliner Philharmoniker inszenierte. Der donnernde Publikumserfolg der Film-Doku des Projekts, „Rhythm is it“, trat damals eine Lawine ähnlicher Vorhaben los. Der entscheidende Unterschied ist allerdings, dass Maldoom die Schüler mit harter Hand in eine ihnen vollkommen fremde Form zwang – und im Gelingen das autoritäre, disziplinverliebte Loblied des Zuchtmeisters auf eine nahezu unbegrenzte Formbarkeit der Jugend sang. Die Produktionen des Youngstar-Festivals hingegen lassen alle klassischen Vorlagen fahren. Die Schüler bringen ihr eigenes Ding auf die Bühne, von der Hand des Profis sanft angeschoben, nicht geprügelt.

Programmtisch (und gelungen) setzen das die Schüler aus Wilhelmsburg und Feridun Zaimoglu mit ihrem Stück „Young Writers. Ich schreib mich selbst“ um. Schon der Titel macht klar, dass es den Anspruch erhebt, das Leben und die Sprache der jungen Schauspieler aus erster Hand ins Theater zu bringen. Paradoxerweise tragen die Schauspieler die Konvention am Leib, Anzüge die Jungen, Blusen und Röcke die Mädchen, und das Bühnenbild ist mit ein paar Hockern aufs Minimum reduziert. Theatereffekte kommen nicht vor. Reale Geschichten, könnte man sagen, brauchen auf der Bühne nicht um Realität zu buhlen, der Dreh ins Abstrakte und Allgemeine macht den persönlichen Gehalt des Stücks nur umso glaubwürdiger.

Aber auch verdaulicher. Denn es ist schon ziemlich krasser Stoff, den sich die Zuschauer da reinziehen müssen: innerfamiliäre Gewalt, Zwangsheirat, Selbstmord, Drogenmissbrauch und zuletzt eine Vergewaltigung. Die Schüler inszenieren diese Dramen aus ihrem Umfeld, das ist ihr Kunstgriff, als Klischees und überspitzte Grotesken. Darum lacht der Zuschauer am lautesten, wo es am brutalsten wird, wenn etwa hinter der Bühne der Vater auf seine Tochter eindrischt. Der Schrecken stellt sich erst später ein, wenn der Vorhang gefallen ist und sich der verblüffte Zuschauer fragt, was er da eigentlich gesehen hat.

Aufschlussreich ist ein Vergleich mit der Produktion „Hell“, die die Performerin Sylvi Kretzschmar mit Schülern eines mittelständischen Hamburger Vororts inszeniert hat. Auch „Hell“ will ein Drama auf die Bühne bringen. Es gibt sogar eine Tote, aber beim Namen genannt wird das Verbrechen, werden Ängste und Probleme der Schauspieler nicht. Von Vampiren ist stattdessen die Rede, und einmal läuft einer Schülerin effektvoll Blut aus dem Mund und tropft aufs weiße Top. Der immer wieder die Bühne flutende Nebel trägt das seine zur Undurchschaubarkeit des Stückes bei.

Die eigene Geschichte der Schüler – im Stück „Hell“ hat sie sich in ein artifizielles Gebilde verflüchtigt. Weshalb man sich fragt, ob die Schüler in Wahrheit gar nichts zu erzählen haben. Oder vielleicht davor zurückschreckten, etwas von sich selbst preisgeben zu müssen. Möglich aber auch, dass sie bloß fürchteten, die Realität allzu platt auf die Bühne zu bringen. Bei ihnen ist also ein Wille zur Kunst am Werk, von dem die Wilhelmsburger weit entfernt scheinen.

Was beide Stücke aber eindringlich zeigen, ist zuletzt das Schwanken der Jugend. Wie viel ist falsch zu machen in jungen Jahren! Und die Weg sind so kurz zwischen Erfolg und Katastrophe, zwischen Spiel und blutigem Ernst, zwischen Liebe und Hass. Das Stück der Wilhelmsburger Schüler hat freilich einen besonderen Vorzug: dass darin Menschen, die in den Medien gerne als radikale Verlierer vorgeführt werden, als Young Stars brillieren. Kurz sind manchmal eben auch die Wege der Kunst.