„Für sich auratisch“

FILMGESCHICHTE „Metropolis“ ist ein Selbstläufer, aber wie bleibt das übrige Filmerbe lebendig? Ein Gespräch mit dem Filmarchivar und -restaurator Martin Koerber

■ Martin Koerber wurde 1956 in Köln geboren. In Berlin studierte er Publizistik, Kunstgeschichte und Musikwissenschaft, bevor er 1986 für die Stiftung Deutsche Kinemathek zu arbeiten anfing. Heute leitet er deren Filmarchiv und ist unter anderem mit der Restaurierung von Fritz Langs Stummfilm-Klassiker „Metropolis“ betraut – im vergangenen Jahr tauchten in Buenos Aires überraschend verschollen geglaubte Filmrollen auf. 2003 wurde er zudem zum Professor für Restaurierung von Foto- und Filmdatenträgern an die Fachhochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin berufen.

INTERVIEW CLAUDIA LENSSEN

taz: Herr Koerber, ist ein Archiv auch für die normalen Besucher eines Filmmuseums da?

Martin Koerber: Wir sorgen dafür, dass Filme überleben. Das Bundesarchiv, das Filmmuseum München, die Deutsche Kinemathek und andere kümmern sich darum, dass das Filmerbe vorhanden und zugänglich ist, soweit möglich. Die kommunalen Kinos machen mit unserer Hilfe Programme. Unsere restaurierten Filme werden im Fernsehen ausgestrahlt, sie sind im Arsenal und in anderen Kinos zu sehen. Auch in der Fernsehabteilung unseres Hauses gibt es Filme, weil wir das Werk von Dokumentaristen wie Klaus Wildenhahn oder Eberhard Fechner besitzen.

Was sagt Ihnen der Medienrummel zu dem „Metropolis“-Fund im letzten Jahr über unser Verhältnis zur Filmgeschichte?

„Metropolis“ ist als Film längst eine sichere Bank. Man zeigt ihn meist ausverkauft. Wie groß die Nachricht herausgestellt wurde, hat mich aber überrascht. Es lag wohl an der Pressearbeit der Zeit, die ein Thema daraus gemacht hat, das die „Tagesschau“ übernahm. Der Film hat als Sci-Fi-Geschichte eine weltweite Fangemeinde, das wirkt.

Was geschieht mit dem Fund?

Die F.-W.-Murnau-Stiftung und wir integrieren ihn in eine Version aus dem Jahr 2001. 35 Minuten Film waren seit 1927 verschwunden. Der Filmhistoriker Enno Patalas hatte die Defizite bereits durch Texte aus dem Drehbuch kenntlich gemacht. Die Fassung von 2001 folgt in besserer Bildqualität seiner Arbeit, weil wir das Originalnegativ gefunden hatten, das ihm nicht zur Verfügung stand. Jetzt ist auch die noch fehlende halbe Stunde wieder da, dadurch versteht man die Handlung besser. Es ist anders, wenn man sehen kann, was das Drehbuch nur beschreibt. Es gibt diverse Nebenfiguren, die die Handlungen der anderen motivieren. Das balanciert den Film aus. „Metropolis“ war zu sehr Science-Fiction, Herzschmerz und Sozialismus auf deutschnationale Art. Der Film enthält kurioserweise alle politischen, religiösen und kulturellen Strömungen der letzten 2.000 Jahre in Pillenform.

War der Fund ein zusammengehöriges Stück?

Nein, es sind verstreute Einstellungen und Szenen. Man kann dadurch Zusammenhänge erkennen. Wir sind dem Ziel näher, die Vollständigkeit der Form und damit des Inhalts wiederherzustellen.

In Filmmuseen erinnert man durch Objekte an das Kino. Was hat das mit Ihrer Arbeit zu tun?

Der Film ist die Materia prima, um die es geht. Was bei der Produktion an Abfall erzeugt wurde in Form von Dokumenten, Kostümen, Dekorationen usw., war zunächst nicht für eine Verwendung außerhalb des Ateliers entstanden. Es diente nur dem Zweck, den Film hervorzubringen. Das sind Dinge, die auf das eigentliche Werk verweisen, Sammler und Museen machen daraus Ausstellungen. Aber in unserer Dauerausstellung kommen auch Filme in Ausschnitten vor. Da gibt es einen direkten Zusammenhang zur Archivarbeit. Im nächsten Jahr werden wir eine „Metropolis“-Ausstellung machen. Wir haben schöne Sammlungen dazu, zum Beispiel Entwurfzeichnungen von Erich Kettelhut, die besonders spektakulär sind. Sie dokumentieren die Stadien, wie die Bauten überhaupt entstanden sind. Man sieht daran, wie sich die Ideen geformt haben. Auch die Musikpartitur von Gottfried Huppertz, die eine wichtige Quelle für die Rekonstruktion des Films ist, befindet sich bei uns.

Sind verlorene Filme in Ausstellungen kein Thema?

Wir haben eine Internetseite (www.lost-films.eu), auf der verlorene Filme verzeichnet sind. Rund 70 Prozent des deutschen Stummfilms sind nicht erhalten. Was wir an Verweisen haben, wollen wir auf dieser Seite sichtbar machen. Jemand, der unbekanntes Filmmaterial besitzt, kann es vergleichen. Manche Filme kann man so vielleicht finden. Im Grunde ist das auch eine Ausstellung.

Das Österreichische Filmmuseum in Wien versteht Filme im Kino als Ausstellungsobjekte pur. Was halten Sie davon?

Das ist nachvollziehbar. Die Kinemathek ist aber traditionell kein ausschließliches Filmarchiv. Der Regisseur Gerhard Lamprecht, der es gegründet hat, sammelte seit den 20er-Jahren alles: technische Apparate, Plakate, Fotos, Drehbücher usw.

Was bestimmt den Kanon der Filmgeschichte?

Es gab früh schon Ausstellungen zur Filmarchitektur über „Caligari“ und den sogenannten Caligarismus. Die Phasen und Stile, die wir heute für selbstverständlich halten, sind Orientierungen und Konstruktionen. Auch die Periodisierung der Filmgeschichte ist etwas Nachträgliches. Gedanken von Lotte Eisner und Siegfried Kracauer präfigurieren bis heute, wie wir über die deutsche Filmgeschichte denken.

■ Wie lässt sich Filmgeschichte heute anschaulich machen? Das ist die Leitfrage für ein Kolloquium, das die Deutsche Kinemathek bis Sonntag in Berlin veranstaltet. Kontrovers diskutiert wird, ob man sich aufs Zeigen von Filmen konzentriert oder, weniger puristisch, Kostüme, Filmplakate, Modelle des Szenenbildners usw. in Ausstellungen präsentiert. Mit dabei sind u. a. Alexander Horwath vom Österreichischen Filmmuseum, Birgit Kohler vom Berliner Arsenal-Kino sowie Rainer Rother und Martin Koerber von der Deutschen Kinemathek. Programm unter www.deutsche-kinemathek.de

War das eine Spurensuche, weil die Weimarer Zeit durch die Nazis ausgelöscht schien?

Absolut. Problematisch ist, dass man diese Denkwelt auf jeden Film übertragen kann. Wenn ich expressionistische Maler habe, die Dekorationen und Entwürfe für Filme machen, kann ich sie wie Kunst an die Wand hängen. Wenn ich an moderne Produktionen denke, kann ich sie nicht so kunsthistorisch zuordnen und mit diesem Bonus ausstellen.

Es gibt auch Beziehungen zur Fotografie, Mode oder Musik.

Man kommt in andere Genres. Vieles, was früher in der Produktion abfiel, präsentieren wir als Augenweide. Heute hat aber z. B. die Fotografie am Set einen anderen Charakter. Man kann streiten, ob die Standfotografie in den 20er-Jahren Kunst war, aber sie hat den Habitus. Die alten Objekte wirken für sich auratisch, weil sie kostbar sind und auf eine Weise hergestellt, die den Anspruch an Musealität plausibel macht.

Geht man heute vom Wunderkammer-Konzept weg?

Man kann beides verbinden. Wir stellen die Ausstellung „Wir waren so frei“, die gerade läuft, zur Debatte. Da sind Filme, die nur in der Ausstellung und im Internetarchiv www.wir-waren-so-frei.de gezeigt werden, Amateurfilme, die im Jahr des Mauerfalls entstanden, dazu Filme von Fernsehkorrespondenten und Dokumentarfilmern, die sich mit dem Wechsel in Deutschland beschäftigen. Man kann mit Filmbildern argumentieren und etwas Neues machen, einen Remix.