SCHRÖDERS IDEEN ZUR REFORM DER NATO LIEGEN IM NATIONALEN INTERESSE
: Man bedenke den Inhalt

Wenn sich die veröffentlichte Meinung erst einmal auf einen Standpunkt verständigt hat, dann müssen mehrere Gesslerhüte gegrüßt werden, bevor man über eine Angelegenheit reden kann: Nein, es ist keine gute Idee, eine wichtige Rede nicht selbst zu verlesen, sondern einen Statthalter damit zu beauftragen. Und: Ja, es ist unklug, die Vertreter überregionaler Medien nicht vorab zu informieren, sondern sie zu zwingen, persönlich nachzudenken. Das kann nur schief gehen.

Nachdem somit die Fehler erneut benannt worden sind, die der Bundeskanzler im Zusammenhang mit seinen Überlegungen zur Zukunft der Nato gemacht hat, kann man sich vielleicht doch noch einmal dem Kern seiner Äußerungen zuwenden. Der ist weit weniger spektakulär, als die Reaktionen darauf nahe legen. Was hat Gerhard Schröder denn tatsächlich sagen lassen?

Dass die Nato nicht mehr die erste Adresse für strategische Überlegungen der transatlantischen Partner ist. Dass es gegenwärtig kein Forum der westlichen Allianz für Diskussionen über Themen gibt, die über militärische Fragen hinausreichen. Und dass es deshalb nützlich wäre, die Aufgabe der Nato zu überdenken. Das ist eine Zusammenfassung von Binsenweisheiten. Derzeit gibt es kein Gremium, in dem sich die westliche Welt auf Themen verständigen kann, die aus ihrer Sicht politisch relevant sind. Die Nato ist ein Militärbündnis, nicht mehr. Vielleicht inzwischen sogar weniger. Die letzte Supermacht lässt keinen Zweifel daran, dass sie ihre Bündnispartner gerne von Fall zu Fall auswählen möchte, Nato hin oder her. Wer meint, dass eine gemeinsame westliche Position trotzdem nach wie vor wünschenswert wäre, der hätte den Vorstoß von Schröder eigentlich begrüßen müssen.

Eigentlich. Im europäischen Interesse läge es, einen Weg zu finden, der die USA zwänge, außeramerikanische Interessen wenigstens zur Kenntnis zu nehmen. Es sagt einiges über das geringe Selbstbewusstsein der EU-Partner und auch der deutschen Opposition aus, dass das in München nicht einmal thematisiert worden ist.

Wenn an einer Rede des Regierungschefs einer Mittelmacht vor allem die kommunikationspolitischen Aspekte interessieren, zeugt das davon, dass die Macht als solche keine relevante Größe mehr ist. Daher ist es gerade die schroffe Ablehnung des Manuskripts von Schröder, die seinen Vorstoß rechtfertigt. Sie liegt, sozusagen, im nationalen Interesse. BETTINA GAUS