HAMBURGER SZENE VON FRIEDERIKE GRÄFF
: 60 Hosen

Ich höre ihr gern zu, wenn sie über die Ottensen-Eltern hetzt und über deren Selbstzufriedenheit

Es scheint einen Unterschied zu machen, ob man Friseuse oder Friseurin sagt, aber da ich nie begriffen habe welchen eigentlich, sage ich weiter Friseurin. Meine Friseurin weiß was sie tut. Sie schickt Kunden, die ihr über Gebühr auf die Nerven gehen weg und wenn sie findet, dass man keinen neuen Haarschnitt braucht, sagt sie: „Du kannst dein Geld woanders verschleudern.“

Meine Friseurin war früher einmal Punk in Berlin und morgens trabte sie vom besetzten Haus zu einem feinen Friseursalon auf dem Ku’damm, wo sie eine Rüschenbluse trug. Würde ich sie auf der Straße treffen, sähe ich ihr hinterher, denn sie ist bemerkenswert schön. Sie trägt oft Clogs und manchmal ein blau-weiß gepunktetes Kleidchen, vielleicht an Tagen, die der Aufmunterung bedürfen.

Meine Friseurin ist eine Feindin der Schickeria und ich höre ihr gern zu, wenn sie über die Ottensen-Eltern hetzt und die Selbstzufriedenheit, mit der sie ihre Kinder mit sich führen. Es muss in diesem Status-Elend-Zusammenhang gewesen sein, dass sie mir von einem Kollegen von früher erzählte. Es war sein erster Tag in einem feinen Salon und niemand beachtete ihn. Da setzte er sich hin, machte Mittagspause, kaute sein Brot und öffnete plötzlich den Mund in die Stille um ihn her. „Ich habe 60 Hosen“, sagte er. Aber alle taten sehr beschäftigt und niemand antwortete ihm.