Bollerwagen, Bier und Müll

OPEN AIR Was mit der Umgebung Scheeßels passiert, wenn dort jährlich etwa 70.000 Menschen das „Hurricane“-Festival besuchen, hat eine Bremer Geografin in ihrer Diplomarbeit untersucht

Das „Hurricane Open-Air“ im niedersächsischen Scheeßel erfreut sich seit nunmehr zwölf Jahren wachsender Beliebtheit bei Freunden charttauglicher Rockmusik. Welche Ströme die zuletzt 70.000 Besucher bei ihrem wohlkalkulierten dreitägigen Exzess verursachen, hat die Bremer Geografin Eva Suß untersucht – in ihrer Diplomarbeit mit dem folgerichtig gewählten Titel „Das Hurricane-Musikfestival in Scheeßel – geographisch betrachtet“.

Seit 1997 gibt es das „Hurricane“, heute beginnt die diesjährige Auflage. Um es vorweg zu nehmen: Der alljährliche Einfall der Indie-Rock-Freunde lohnt sich für das kleine Städtchen materiell nur mäßig. Magere 16,23 Euro, so hat Suß durch die Befragung von 132 Besuchern herausgefunden, fließen an lokale Geschäfte. Eine knappe Million Euro lassen die Besucher somit in der Region. Die Summen, die die Veranstalter an örtliche Auftragnehmer überweisen, sind in dieser Rechnung allerdings nicht berücksichtigt. Das ist nicht viel, denn insgesamt lassen sich die Open-Air-Gäste das Wochenende etwa 220 Euro kosten.

Der durchschnittliche Festival-Besucher ist 25 Jahre alt und lässt rund 30 Liter Müll an seiner Bettstatt zurück, in regenreichen Jahren ist es mehr, denn dann lassen viele ihre durchweichten Zeltausrüstungen auf dem Gelände zurück. Ein Trupp von etwa 50 Personen ist rund zwei Wochen damit beschäftigt, alle „Rückstände in greifbarer Größe“ aus den 150 Ackerhektar zu pulen, zunächst mit Staubsaugern, dann von Hand. Dabei, so versichert Suß, gehen sie so gründlich vor, dass trotz der Massen alljährlich zurückbleibender Scherben und Heringe die Landmaschinen im darauf folgenden Frühjahr keine Probleme haben.

Überhaupt, die Landmaschinen: Zwar werden die Felder ganz regulär bebaut, aber kurz vor dem Festivaltermin Ende Juni, also lange vor dem eigentlichen Erntezeitpunkt, abgemäht. Den Verkaufswert der reifen Feldfrüchte zahlt den elf Bauern der Veranstalter. So war es zumindest bisher. Doch weil immer mehr Biogasanlagen in der Nähe Scheeßels entstehen und deshalb der Maisanbau lukrativer wird, soll es zunehmend schwieriger für die Veranstalter geworden sein, ausreichend Zeltfläche bereit zu stellen, sagt Suß.

Bevor die Reinigungstrupps über das Gelände ziehen, kommen die „organisierten Gruppen“ von Flaschensammlern. Und die sammeln so viele Pfandbehältnisse auf, dass die örtlichen Supermärkte bisweilen schließen mussten, weil sie ihre gesamten Bargeldvorräte an die Flaschensammler auszahlen mussten. Dafür versechsfachte sich ihr Bierumsatz.

Ähnlich gut läuft es offenbar für die „Kofferkinder“: Scheeßeler Heranwachsende haben herausgefunden, dass es äußerst lukrativ ist, mit Kettcars mit Bollerwagenanhägern am Bahnhof bereitzustehen und damit das Gepäck der Anreisenden oder deren im Ort gekauftes Bier zu dem zwei Kilometer entfernten Festivalgelände zu transportieren. Dabei, so hat Suß festgestellt, treffen sie „organisierte Preisabsprachen“ und teilen sich „mehrere Gespanne im Schichtbetrieb“ – und streichen für ihre Dienste so bis zu 250 Euro ein. CHRISTIAN JAKOB