Vergesslich beim Erinnern

Die Gedenkstätten in Nordrhein-Westfalen fristen ein Schattendasein. Jedes Jahr müssen sie neu um Zuschüsse kämpfen. Dabei ist das Interesse von BesucherInnen an den historischen Orten gestiegen

von ANNIKA JOERES

Das Erinnern an die Nazizeit fällt in NRW schwieriger als in anderen Bundesländern. „Wir haben hier eine Sondersituation“, sagt Alfons Kenkmann, Vorsitzender des Arbeitskreises NS-Gedenkstätten in NRW. In NRW gebe es viele kleine, dezentrale Gedenkstätten und keine großen Orte des Erinnerns wie zum Beispiel in Bergen-Belsen. „Außerdem sind unsere Stätten meistens Orte der Täter des NS-Regimes, wie zum Beispiel die ehemalige Gestapo-Zentrale in Köln“, so der Historiker Kenkmann.

Die versprengten Stätten sind zwar für Interessierte leichter zu erreichen, sie haben aber einen großen Nachteil: Ihre Förderung ist jedes Jahr in Gefahr, für jedes Projekt muss erneut Geld beantragt werden. Und selbst feste Posten im Landeshaushalt wie die Zuschüsse für Gedenkstättenfahrten nach Auschwitz oder Dachau haben keine gesicherte Zukunft: Im vergangenen Jahr wurde der Posten vom Jugendausschuss des Landtages über Nacht mit rot-grüner Mehrheit ersatzlos gestrichen, nur ein FDPler stimmte dagegen. Viele Fahrten können nun nicht oder nur sehr viel teurer angeboten werden. „Wir stehen bei der derzeitigen Haushaltslage mit dem Rücken an der Wand“, sagt Kenkmann. Nur für den Arbeitskreis stünden dauerhaft 120.000 Euro pro Jahr zur Verfügung. „Wir müssen jedes Jahr ringen und kämpfen.“ Allein für die lächerliche Summe von 7.500 Euro für den Gedenkstättenserver hätten sie einen riesigen Aufstand machen müssen. „Unsere Arbeit wird nicht ernst genug genommen“, sagt Kenkmann.

Die Unterstützung von Ausstellungen und Vorträgen liegt ganz in den Händen der Kommunen. „Wir stehen als freiwillige Aufgabe der Stadt immer zur Disposition“, sagt Ulrike Schrader, Leiterin der „Begegnungsstätte alte Synagoge“ in Wuppertal. Ihre Arbeit sei „konjunkturabhängig“ – bei Diskussionen wie aktuell um die NPD gebe es Aufmerksamkeit, dann wieder werde sie von Politik und Medien wenig beachtet. Seit zehn Jahren zahlt die Stadt der Synagoge den immer gleichen Zuschuss von 51.000 Euro, obwohl die Kosten gestiegen sind. Nur Schrader hat eine feste Stelle, ohne Ehrenamtliche könnte die Synagoge nicht existieren. Sie empfängt Schulklassen und Laien und forscht zur lokalen NS-Geschichte. „Wir können die Nachfrage gar nicht befriedigen und müssen vielen Interessierten absagen“, sagt Schrader.

Die Geschichte der Gedenkstätten in NRW ist kurz: Sieht man von der bereits 1962 eröffneten Gedenkhalle Schloß Oberhausen ab, so gab es bis 1980 häufig nur symbolisch gekennzeichnete Orte, erinnerte eine unauffällige Tafel an namenlose „Opfer des Nationalsozialismus.“ Heute beziehen Ausstellungen in Oberhausen wie in Dortmund, in Essen wie in Köln, in Düsseldorf wie in Gelsenkirchen die verschiedenen Verfolgten-Gruppen mit ein. Für Angela Genger von der Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf haben heutige Gedenkstätten eine neue Funktion: „Sie sind Lernorte geworden“. Herkömmliche Formen wie Gedenkfeiern und Vorträge seien um Musik- und Theateraufführungen, um Reisen und Schreibwerkstätten bereichert worden. Persönliche Zeugnisse aus der NS-Zeit würden nun ernst genommen. „Was erinnert wird, hängt davon ab, wie es erinnert wird“, sagt Genger.

Historiker Stefan Querl beobachtet einen Wandel im Interesse der Jugendlichen. Er organisiert in Münster am Geschichtsort Villa ten Hompel Fahrten für SchülerInnen und Erwachsene, leitet Diskussionsrunden und Vorträge in der Villa, unter anderem auch für PolizistInnen und FinanzbeamtInnen. Von 1940 bis 1945 war die Villa Sitz des regionalen Befehlshabers der Ordnungspolizei. Im NS-Regime trug diese Behörde mit ihren Erlassen, Befehlen und Handlungen erheblich zum Massenmord an Juden, Sinti und Roma bei. „Unsere Gedenkstätte wird als Ort der Zukunft wahrgenommen“, sagt Querl. „Sie wollen wissen, wie eine Gesellschaft für alle sein könnte.“ Natürlich stellten sich die BesucherInnen andere Fragen als Historiker in den Feuilletons. Ihre Themen seien Menschenrechtsverletzungen, das NPD-Verbot, Rassismus. Doch auch diese Arbeit hängt am seidenen Faden.