Liga der Sorgenkinder

Erst der Schiedsrichterskandal und nun die finanziellen Schwierigkeiten bei vielen Traditionsvereinen. Der Rückrundenstart der Regionalliga Nord steht unter schwierigen Vorzeichen. Der FC St. Pauli liegt mit 600.000 Euro Steuerverbindlichkeiten vorn

Lizenzsorgen, Stundungen, Insolvenz: Alltag in der dritten Liga

von Oke Göttlich

Die Inszenierung einer Zeit, in der alles besser war, passt zur derzeitigen Lage des FC St. Pauli. Am jüngsten, bitterkalten Montagabend im Februar feierten mit Holger Stanislawski und André Trulsen zwei Identifikationsfiguren des Vereins ihren spielerischen Abschied und mit ihnen viele alte Bekannte, die am Millerntor erstklassige Fußball-Luft schnuppern durften, bevor der Verein in die Drittklassigkeit abdriftete. Schön war das damals, was die immerhin knapp 6.000 Zuschauer mit jedem Pass feiern wollten, und so passte es, dass Blur an diesem Abend als Tormelodie achtzehnmal erklang – und damit nur sieben Mal weniger als in den bisherigen 20 Saisonspielen in der Regionalliga Nord.

Nicht minder häufig läuten die Alarmglocken bei dem Traditionsverein mit der treuen Anhängerschar, seit sich der Verein vor eineinhalb Jahren aus dem Profifußball verabschiedet hat. Immer wieder sorgen finanzielle Unregelmäßigkeiten für Sorgen bei den Fans, die weiter zahlreich die Spiele St. Paulis besuchen. Weit über 10.000 Anhänger pilgern zu den Heimspielen – ein Wert, mit dem man selbst in Liga zwei im oberen Drittel der Zuschauertabelle angesiedelt wäre.

Dass in der dritten Liga aber alle Traditionsvereine immer wieder nach der langen Winterpause über Liquiditätsengpässe, Stundungen, Lizenzsorgen und Insolvenzgefahr debattieren, liegt, so St.-Pauli-Geschäftsführer Frank Fechner, an strukturellen Problemen dieser Vereine. „Die Struktur ist weiterhin in einem professionellen Rahmen, was Spielergehälter und Verwaltungskosten angeht. Die Vereine der dritten Liga erhalten aber nur 10 Prozent dessen, was in der zweiten Liga für Fernsehgeld bezahlt wird. Außerdem sinken durch die geringere Fernsehpräsenz die Sponsoreneinnahmen um 50 Prozent. Da kann man so viele Zuschauer haben, wie man will. Auffangen kann man den Verlust nicht.“ Diese Sorgen haben Osnabrück, Braunschweig, Lübeck, Kiel und St. Pauli gemein, wenngleich die beiden niedersächsischen Vertreter und die Kieler die führenden Sportvereine in ihrer Region sind und dadurch kleine Vorteile genießen.

Allein auf St. Pauli tritt mal wieder ein besonderes Versäumnis zu Tage. Über 600.000 Euro Steuernachzahlungen belasten den Verein. Eine Summe, die nicht etwa aus den aktuellen Steuererklärungen herrührt, sondern aus dem Jahr 2002. In dem Jahr stieg St. Pauli unter dem Präsidenten Reenald Koch aus der ersten Bundesliga ab – trotz hoher Fernsehverwertungseinnahmen und Kartenverkäufen mit Liquiditätsproblemen. Diese führten dazu, dass die damalige Buchhalterin Doris Petersen von einer Vorgesetzten wohl dazu gebracht werden sollte, die Umsatzsteuer nicht anzumelden. Da sie sich weigerte und den Verein daraufhin verließ, soll dieses Anliegen an den neuen Buchhalter Sven Hinrichsen herangetragen worden sein – von präsidialer Seite, wie beim FC St. Pauli vermutet wird.

Ein Versäumnis kann hier kaum vorliegen, immerhin handelt es sich um eine Summe von rund 4 Millionen Euro Umsatz, die nicht angemeldet worden sein soll und nun eine Nachzahlung von 630.000 Euro nach sich zieht. Kurioserweise fällt die versäumte Meldung in einen Zeitraum zwischen den Monaten Juni und August, in dem der Vorstand sich bereits in politischen Grabenkämpfen befand und Reenald Koch noch Geld vom Verein zu erhalten hatte.

Um die 700.000 Euro, also in etwa die Summe, die nicht angemeldet worden ist, sollte Reenald Koch noch aus einer Bürgschaft bekommen. Im Oktober trat Reenald Koch überraschend von seinem Amt zurück. Ob es Möglichkeiten gibt, diese vermeintlichen Versäumnisse steuerstrafrechtlich zu verfolgen, klären derzeit die Anwälte.

Nicht minder problematisch sind die Steuerprobleme allerdings für den jetzigen Präsidenten Corny Littmann. Nicht wenige glauben, dass der charismatische Präsident in Erklärungsnotstand gerät, wie mit diesen Schulden und denen weiterer Gläubiger verfahren werden soll. Dazu ist die Frage ungeklärt, ab wann das Präsidium wirklich wusste, dass Summen in dieser Größenordnung offen sind.

„Sollten die nicht gemeldeten Umsätze intendiert gewesen sein, ist es plausibel, dass diese nicht gleich aufgefallen sind“, gibt Fechner zu bedenken. Kurios ist außerdem, wie Wirtschaftsprüfer, Steuerberater und Kassenprüfer des Vereins die Steuermeldungen aus dem Jahr 2002 über vier Millionen Euro übersehen konnten, da auch schon unter Koch das Präsidium nicht das meldende Organ an das Finanzamt gewesen ist.

Trotz aller vereinspolitischen Theorien glaubt Littmann an eine einvernehmliche Lösung mit dem Finanzamt: „Wir haben ja auch aus den Jahren 2003 und 2004 erhebliche Steuersummen, die wir als Altlasten mit uns herumtrugen, bereits abgetragen.“ An Probleme bezüglich der Lizenzerteilung glaubt Littmann nicht. Viel größere Sorgen dürfte ihm machen, dass der Aufsichtsrat bereits nach geeigneten Präsidiumskandidaten forscht, die auf Littmann folgen könnten. Erst jüngst wurde dem Gremium ein Kandidat aus dem Paulick-Clan (siehe unten stehender Text) vorgeschlagen.

Dass es sich dabei um Mathias Kampmann, ein Aufsichtsratsmitglied der Marseille-Kliniken handelt, lässt bei einem vermeintlich politischen Verein wie St. Pauli die Gerüchte ins Kraut schießen. Immerhin handelte es sich beim Gründer Ulrich Marseille um einen Unterstützer der ehemaligen Schill-Partei. Es sieht danach aus, als könne nur Blur den FC St. Pauli retten. Denn mit jedem Tor, dass die Kiezkicker schießen, könnte der Aufstieg noch erreicht werden. Und da wartet das Geld, welches das Finanzamt gerne hätte.