„Er hat gewonnen“

Wegen heimtückischen Mordes ist eine 40-jährige Frau aus Huchting angeklagt. Nach 20 Jahren leidvoller Ehe erschoss sie ihren despotischen, angetrunkenen Mann mit seiner Pistole im Schlaf. „Niemand konnte mir helfen. Ich schäme mich so“

bremen taz ■ Mord aus Heimtücke wirft die Staatsanwaltschaft der 40-jährigen Ayse B. vor. 20 Jahre hat die kleine, zierliche Frau mit ihrer Familie unauffällig in Huchting gelebt und dort drei Kinder groß gezogen. 20 Jahre hat ihr Mann sie wie ein unmündiges Kind behandelt, sie gegängelt und beleidigt, sie schikaniert und geprügelt. 20 Jahre lang ertrug sie seine Misshandlungen – „die Worte schmerzten manchmal mehr als die Schläge“. Immer realer, so scheint es, wurden dabei für sie seine Morddrohungen, die er auch gegen Dritte ausgestoßen habe. Sie ertrug auch das, um nicht das Schlimmste zu provozieren und so Gefahr für ihre Eltern und Geschwister herauf zu beschwören. Bis er sie und ihre Schwestern Huren und Zuhälterinnen nannte. Auch habe er ihren Kopf in die Hand genommen, gedreht und gedroht: „Ich kann dir, klick, das Genick brechen.“

An diesem Septembersonntag im vergangenen Jahr griff sie zu seiner Pistole und schoss aus sicherer Entfernung auf den betrunken Eingeschlafenen. Er starb. Als die Polizei schon im Haus war, wollte sie nur flüstern – aus Angst, der Despot könnte erwachen, fragen, wer den vielen Leuten die Tür geöffnet habe, und dann wieder einen seiner zermürbenden Streits beginnen.

„Er hat gewonnen. Er wollte immer, dass ich ein schlechtes Mädchen bin“, blickte die Angeklagte gestern im Landgericht auf das brutale Ende dieser Beziehung zurück – in der sie dem kontrollsüchtigen und alkoholkranken Ehemann mit Vernunft zu begegnen versuchte. Sachlich wirkt sie dabei. Merkwürdig entrückt, als hätte sie nach 20 Jahren Gefühle-verbergen nun den Zugang zu ihnen verloren. Später wird sie sagen „er hat meine Lebensfreude getötet und meine Seele“. Rache habe sie an ihm nie nehmen wollen, nur ein sehr langes, quälend einsames Leben habe sie ihm gewünscht, räumt sie ein. Für sich selbst dagegen habe sie öfters den Tod herbei gesehnt. Nur dadurch hätte sie sich dem Mann entziehen können, ohne dass jemand anderer dafür hätte zahlen müssen, erläuterte die Angeklagte, wie sie in traditionelle Moralvorstellungen verfangen war. Wie sie keinen Ausweg sah – und zugleich von niemandem Hilfe erwarten konnte. „Alle hatten Angst vor ihm“, schilderte sie vergebliche Hilferufe an die Schwiegermutter. Ihr Leben war davon bestimmt, dem Mann keinen Anlass für Streit zu bieten und ihm keine „Schande“ zu machen. Bisweilen klingt sie, als hätte sie Schläge für Verfehlungen akzeptiert – hätte sie Fehler begangen.

Heimtücke hat der Staatsanwalt angeklagt. Verteidiger Gerd Baisch nannte dies zum Auftakt des Prozesses gestern eine „inadequate Strafandrohung“. Der Gesetzgeber habe dabei „den Auftragskiller vor Augen gehabt, nicht diese zierliche Frau, die in einem Ausnahmezustand in äußerster Verzweiflung“ gehandelt habe. Für betrunkende Ehemänner, die in rasender Wut ihren Frauen etwas antun, gebe es mildernde Umstände – nicht aber für Frauen wie seine Mandantin. Später wird die Angeklagte beschreiben, wie sie den Peiniger, der sich nicht scheiden lassen wollte, kurz vor der Tat aufforderte, aus der gemeinsamen Wohnung zu gehen oder sie selbst wenigstens zur Schwester zu lassen. „Ich war nicht mehr ich selbst.“ Streit und Beleidigungen waren eskaliert. Wieder versteckten sich die drei fast erwachsenen Kinder im Nebenzimmer.

Ruhig antwortete Ayse B. auf die Frage des Staatsanwalts, warum sie nicht die Polizei zur Hilfe rief. Die hätte wenigstens Pistole und Luftgewehr mitgenommen. „Er hat doch gesagt, er brauchte mir nur das Genick umzudrehen“, antwortet sie. Später im Gerichtshaus, werden Polizisten den Kopf schütteln über diese Frage. „Polizei helfen? Sogar nach einem Wohnungsverweis wäre der Mann doch schnell wieder bei seiner Frau gewesen“, sagen die beiden mitfühlend.

ede