Es fährt ein Bus nach Sachsenhausen

Die dunkle Seite von Hugo Boss: Eine Ausstellung in der ifa-Galerie zeigt, wie unterschiedlich sich Künstler der Erinnerung an den Holocaust nähern

Die Firma Boss setzte einst Zwangsarbeiter ein und schneiderte für SA, SS und HJ

Von BRIGITTE WERNEBURG

Von ihren historischen Wurzeln her, sagt ein Angestellter der „Wiener Library“ in London, „ist dies eine Amateur-Organisation. Ihre Professionalisierung ist in den letzten Jahren über ein großes Thema gewesen, das sicher Positives bewirkt hat. Man hat aber auch einen Preis zu bezahlen.“ Die Aussage ist ein Auszug aus den Tonbandaufzeichnungen, die Uriel Orlow als artist-in-residence am ältesten Holocaust-Archiv der Welt aufgezeichnet hat. Uriel Orlow ist einer der sechs Künstler und Künstlerinnen der Ausstellung „Stets gern für Sie beschäftigt …“, die in der ifa-Galerie anlässlich des 60. Jahrestages der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz am 27. Januar eröffnete.

Auch Künstler sind von ihren Grundlagen her stets Amateure, wenn sie sich einem Thema nähern, das an sich ein kunstfernes Thema ist, wie etwa das der Rolle der deutschen Industrie im nationalsozialistischen Völkermord. Gerade weil sie Amateure sind, erwartet man von ihnen überraschende und unkonventionelle Annäherungen, die erhellender sein mögen als die der Wissenschaftler, in deren Distanziertheit und Abstraktion die Kosten der professionellen Herangehensweise deutlich werden. Und tatsächlich sind die künstlerischen Positionen, die einem amateurhaften Herangehen an das Thema entspringen, oft ausgesprochen ausgereift.

Renata Stih und Frieder Schnock sind seit langem bekannt für ihr aufsehenerregendes Denkmalprojekt im Bayerischen Viertel in Berlin. Achtzig Metalltafeln zeigen in Schöneberg auf der einen Seite ein Bildmotiv und auf der anderen einen dazu passenden, kurzen Text. Er stammt aus Verordnungen, die ab 1933 schrittweise das Leben der jüdischen Bürger einschränkten und sie ihrer Rechte beraubten, um sie schließlich der Vernichtung preiszugeben. Anders als bei den üblichen Mahnmalsprojekten greift ihres in den Stadtraum ein: Immer wieder stößt man auf diese Tafeln und damit auf die jüdische Vergangenheit des Viertels.

Ebenso überzeugend war auch ihr Vorschlag für das so genannte Holocaust-Denkmal in Berlin, wo sie eine Bushaltestelle planten, von der aus mehrmals täglich Busse zu den authentischen Orten der Judenverfolgung fahren sollten. Der Vorschlag scheiterte, da ein traditionelles, monumentales Mahnmal gewünscht war, das über viele Jahrhunderte wirken sollte. Für die ifa-Ausstellung haben die beiden nun ihre „Bus Stop“-Idee wieder aufgegriffen und ein kleines Kursbuch herausgegeben, in dem ein Bus virtuell hunderte von historischen Orte ansteuert, deren ehemalige Funktion innerhalb der nationalsozialistischen Vernichtungsmaschinerie genannt wird. Soweit es Gedenkstätten gibt, sind auch deren Lage und Öffnungszeiten genannt. Allein wegen dieser überlegt gestalteten Broschüre, die sowohl Geschichtsbuch wie aktuelle Informationsschrift ist, muss man „Stets gern für Sie beschäftigt …“ besuchen.

Der Titel der Ausstellung bezieht sich auf die Floskel, mit der die Korrespondenz der Firma J. A. Topf & Söhne, Erfurt, an die SS-Bauleitung endete, die deren Krematoriumsöfen in den Konzentrations- und Vernichtungslagern einsetzte. Heute steht die Industriebrache von Topf & Söhne mitten in Erfurt leer und ist dem Verfall preisgegeben. 2002 stieß die israelische Künstlerin und Kuratorin Yael Katz Ben Shalom auf diesem Gelände auf eine Gruppe Jugendlicher, die als Besetzer seine Umwidmung in eine Erinnerungsstätte vorantreiben wollten. Yael interviewte die zwanzig Jugendlichen je eine halbe Stunde lang, sie fotografierte das Fabrikgelände, und gemeinsam mit der Gruppe filmte sie Erfurter Passanten, die sie nach der alten Fabrik und ihrer Geschichte sowie dem Plan eines Erinnerungsortes an dieser Stelle befragte. Das deprimierend stereotype „Einmal muss ein Ende sein“, mit dem die meisten Befragten sich gegen eine Gedenkstätte aussprechen, verstärkt nur die Wucht ihrer Installation.

Neben diesen Arbeiten, wie Uriel Orlows Recherche in der Wiener Library und in einer von den Nazis zum Schwimmbad umgebauten Syngoge in Poznań, oder neben Heidi Sterns gelungener Übersetzung des Dokumentarfilms „Der Fotograf“ von Dariusz Jablonski in dreidimensionale szenische Bilder, die sie in Ton modelliert, erscheint Tanya Urys Auseinandersetzung mit der Vergangenheit der Modefirma Hugo Boss als das schwächste Projekt der Ausstellung. Während ihre „Boss-Rune Nr. 1“ nicht ohne Witz die nahe liegende Verfremdung der SS-Typografie aufgreift, ist ihr Posing in einem alten Luftwaffen-Ledermantel, das sie zwischen Boss-Anzeigenkampagnen und einen extrem süßlich gezeichneten Comic aus dem Spanien der Franco-Ära montiert, wenig zwingend.

Auch Künstler sind bloß Amateure, wenn sie sich der NS-Geschichte nähern

Auch die Firma Hugo Boss in Metzingen setzte ab 1940 für die Produktion Zwangsarbeiter ein. Darüber hinaus verdankt sich der Erfolg der Bekleidungsfirma überhaupt den engen Kontakten, die der Inhaber Hugo Ferdinand Boss schon vor 1933 zur NSDAP unterhielt, deren Mitglied er seit 1931 war. Bis Kriegsende stellte die Firma die Uniformen für die Partei, aber auch SA, SS und HJ her. Der letzte Auftrag waren Uniformen für die Reichsführung der SS. Heute nun, um genau zu sein: seit 1996, schmückt sich die Firma mit einem international renommierten Preis für Gegenwartskunst, den die Solomon R. Guggenheim Foundation alle zwei Jahre in New York vergibt. Es scheint eine geradezu schicksalhafte Affinität zwischen der deutschen Liebe zur Gegenwartskunst und Profiten aus Zwangsarbeit zu geben.

Einen Streit wie bei Flick braucht die Firma Hugo Boss bei ihrem Preis inzwischen nicht mehr zu befürchten. 2000 zahlte sie in die Stiftungsinitiative ein, und zwei Jahre später entschuldigte sich ihr Vorstand bei den ehemaligen Zwangsarbeitern, die von der Stadt Metzingen zu einem Besuch eingeladen wurden.

Dumm, wenn nicht provokativ und zynisch, erscheinen in diesem Zusammenhang allerdings die Werbekampagne der Firma, die für ein Parfum 2002 „The Dark Side of Hugo“ annonciert. Hier gelingt Tanya Ury in der Gegenüberstellung eines Zeitungsberichts über die Firma in der NS-Zeit und dem Werbemotiv zwar wieder ein starkes Bild. Aber ihre Behauptung, die Vergangenheit der Firma werfe für sie „tiefgreifende Fragen über die Beziehungen von Mode und Militärmode, von Mode und Politik auf“, löst diese Arbeit genauso wenig ein wie „Who’s Boss: Your Rules“, 2004. Hier hat sie sich den Namen Boss in die Handinnenfläche gestickt – anlog zum Boss-Model, das in der Handinnenfläche „Your Rules“ eintätowiert hat, analog schließlich auch zu Daniel Buettis Arbeiten. Der Schweizer Künstler ist damit bekannt geworden, dass er in die Haut von Werbeschönheiten vermeintlich Firmenlogos einritzt, die er tatsächlich aber nur in die Fotografien einstanzt. Buettis maßlos überschätzte Arbeiten sollen natürlich eine Kritik der Warenästhetik darstellen, bedienen sich aber parasitär an der Aura von Schönheit und Werbung. Ausgerechnet Buetti als künstlerische Referenz zu zitieren, deutet nicht auf tiefgreifende Fragestellungen hin.

Bis 27. März, ifa-Galerie, Linienstraße 139/140, Di.–So. 14 bis 19 Uhr