Libanon rätselt über seine Destabilisierer

Das Attentat auf Expremier Hariri hat die antisyrische Stimmung verstärkt. Aber wenn Syrien gar nicht der Täter war?

Wer hatte den Finger am Zünder der Bombe, die Rafik Hariri tötete? In der Beantwortung dieser Frage steckt politischer Sprengstoff. Die Spannungen im Libanon einen Tag nach der Ermordung des ehemaligen Ministerpräsidenten durch einen Bombenanschlag in Beirut sind groß.

Hariri-Anhänger und Teil der libanesischen Opposition haben begonnen, nicht nur mit dem Finger auf das benachbarte Syrien zu zeigen, sondern auch Taten folgen zu lassen. Einige veranstalteten eine Jagd auf syrische Bürger, andere versuchten ein lokales Büro der syrischen Baath-Partei zu stürmen, während an der Arabischen Universität Bilder des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad verbrannt wurden. „Es gibt keinen Gott außer Allah und Syrien ist sein Feind“, riefen die Demonstranten.

Der Grund für den Generalverdacht: Hariri hatte zwar als Ministerpräsident jahrelang ein gutes Arbeitsverhältnis mit Syrien gehabt, das mit seinen 15.000 Soldaten im Land als die graue Eminenz im Libanon gilt, aber am Ende dominierte seine Rivalität mit dem prosyrischen Präsidenten Émile Lahoud, dessen Amtszeitverlängerung Damaskus gegen Hariris Widerstand letztes Jahr per Verfassungsänderung durchgesetzt hatte. Auch wenn sich Hariri nie offen den antisyrischen Kräften im Libanon angeschlossen hatte – nun ist er zu ihrem Helden geworden.

Damaskus selbst hat das Attentat scharf verurteilt und verteidigt sich mit dem Argument, dass es als Kontrollmacht im Libanon keinerlei Interesse an dessen Destabilisierung haben könne. „Das wäre so, als würde man die USA beschuldigen, für den 11. September verantwortlich zu sein“, erklärte Syriens Regierungssprecherin Butheina Schaaban.

Doch der Anschlag hat erneut eine bereits vorhandene Dynamik in der libanesischen Politik verstärkt, die den syrischen Einfluss auf das Land einschränken möchte. Selbst vorsichtige Kommentatoren sprechen davon, dass nun der Zeitpunkt gekommen ist, das syrisch-libanesische Verhältnis neu zu überdenken und auf gleichberechtigtere Füße zu stellen.

An dieser Forderung wird sich auch dann nichts ändern, wenn sich am Ende herausstellen sollte, dass Syrien nicht an der Planung des Attentates beteiligt war. Dafür spricht, dass sich eine kleine, möglicherweise al-Qaida nahe stehende Gruppe mit dem Namen „Sieg und Dschihad in Palästina, Syrien und Libanon“ im Internet für den Anschlag verantwortlich machte und diesen als „Bestrafung für Hariris enge Kontakte zur saudischen Regierung“ bezeichnete.

Gegen diesen Bekenneraufruf, der auch über die arabische Fernsehstation al-Dschasira verbreitet wurde, spricht, dass eine kleine Gruppierung nicht so leicht an die verwendete riesige Menge Sprengstoff und die Informationen über Hariris Bewegungen kommen kann. Dafür aber spricht, dass die libanesischen Sicherheitskräfte das Haus des Mannes, der im Bekenneraufruf als Täter identifiziert wurde, gestürmt hat, ohne ihn vorzufinden. Der palästinensische Flüchtling Ahmad Abu al-Ads hatte das Haus kurz vor dem Anschlag verlassen, bestätigte Justizminister Adnan Adoum. Zusätzlich erklärte Informationsminister Elie Ferzli gestern, dass ein Tatverdächtiger festgenommen wurde. Gerüchte, dass es sich dabei um einen militanten Islamisten handelte, wollte er nicht bestätigen.

KARIM EL-GAWHARY