Die bessere digitale Welt

GROSSBRITANNIEN Wenn die deutsche Medienpolitik nicht weiterweiß, dann klaut sie. Gelegenheit dazu bieten aktuell die Zukunftsvisionen des „Digital Britain Report“

Britische Privatsender sollen an der Rundfunkgebühr beteiligt werden, wenn sie bestimmte Angebote wie regionale Nachrichten und anspruchsvolles Kinderprogramm senden

VON STEFFEN GRIMBERG

Da sage noch mal jemand etwas gegen Medienpolitiker: 245 Seiten präzise Zukunftsvisionen für die digitale Welt, die Rolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks darin und die besondere Bedeutung von Hochgeschwindigkeits-Internet auch auf dem platten Land. Und das, nachdem der Entwurf des Ganzen erst im Januar vorlag und die Ergebnisse einer mehrmonatigen Konsultationsphase mit allen Beteiligten eingearbeitet werden mussten! Sie ahnen es schon: Es geht natürlich nicht um Deutschland. Sondern um Großbritannien, um den Abschlussbericht des „Digital Britain Report“ der Londoner Regierung.

Hierzulande streiten die Privatradios und die ARD gerade nochmal die Schlacht ums sieche Digitalradio-Format DAB, eine technische Sackgasse, die in der Branche schon seit Jahren als „dead and buried“ (tot und begraben) verhöhnt wird. Der VPRT, in dem die meisten privaten Sender organisiert sind, wird auf seiner Versammlung kommende Woche wohl beschließen, aus Gründen der Pietät und weil die Förderkohle ausgelaufen ist, auf den DAB-Wiederbelebungsversuch namens DABplus zu verzichten. Der Unterschied – hier Klein-Klein und übern Kanal große Würfe, könnte nicht augenfälliger sein.

Macht aber nichts, schließlich bedient sich nicht nur die deutsche Fernsehproduktionslandschaft andauernd beim kreativen Potenzial von Brit-TV. Auch die hiesige Medienpolitik klaut, wenn sie nicht mehr weiterweiß, bevorzugt made in Britain. Natürlich werden die britischen Entwürfe nie eins zu eins im deutschen Mediengeflecht umgesetzt – da sind Parteipolitik wie landsmannschaftliche Interessen der zuständigen 16 Bundesländer vor. Trotzdem lohnt der Blick in den „Digital Britain Report“.

Denn der sieht vor, dass künftig die Privatsender an der Rundfunkgebühr beteiligt werden, wenn sie bestimmte Angebote wie regionale Nachrichten und anspruchsvolles Kinderprogramm senden. Dies, hatten die britischen Kanäle schon vor der Krise argumentiert, sei nur durch Werbung nicht mehr zu finanzieren. Und die Vorgabe, die Gebühren zu teilen – vorgesehen sind in Britannien ab 2013 rund 3,5 Prozent der bisherigen BBC-Einnahmen – dürfte auch bei RTL und Sat.1 mit Interesse vernommen worden sein.

Schließlich klagen die privaten Vollprogramme schon lange über die Kosten der ihnen medienrechtlich vorgeschriebenen Regionalberichterstattung. Wie ernst die Sache in Deutschland genommen wird, zeigt auch die ARD: Deren Vorsitzender, der SWR-Intendant Peter Boudgoust, nannte derlei Planspiele schon im März im Gespräch mit der taz einen „ordnungspolitischen Sündenfall erster Güte“ – ein Satz, der derzeit gern wiederholt wird.

Auch bei der RTL-Group, der TV- und Produktionssparte des Bertelsmann-Konzerns, dürfte man in Sachen „Digital Britain“ aufgehorcht haben: Der europaweite Senderverbund, dessen übermächtige Cashcow immer noch das deutsche RTL-Programm ist, würde in Großbritannien gern den öffentlich-rechtlichen, bislang aber rein über Werbung finanzierten Channel 4 kaufen und mit seinem eigenen Kanal Five zu einer Minisendergruppe fusionieren.

Beide Kanäle machen Miese, bei Channel Four, der bislang de facto in Staatsbesitz ist, gibt es aber jede Menge kreatives Potenzial. Bislang favorisierte die britische Regierung hier ein Zusammengehen von Channel 4 mit dem kommerziellen Ableger der BBC, BBC Worldwide, der in vielen Ländern der Welt Pay-TV betreibt und äußerst lukrativ international mit den Formaten und Programmen der BBC handelt. Doch nun heißt es im „Digital Britain Report“, solch ein enger Zusammenschluss sei nach dem Rundfunk- und Konzentrationsrecht doch nicht möglich – was den Weg für einen neuen RTL-Vorstoß frei machen könnte.

„Channel 4 und Five gleichen sich in vieler Hinsicht“, schrieb RTL-Vorstandschef Gerhard Zeiler in der Financial Times: „Mit einer Fusion würde die Zukunft beider Kanäle garantiert, mit einem echten Plus für die Zuschauer. Wirtschaftlich würden aber beide auf eigenen Füßen stehen.“ Dass damit auch der Konzentrationsgrad im britischen TV-Markt deutlich steigen würde, ficht den RTL-Boss nicht an: Denn der sei „immer noch deutlich vielfältiger als jeder andere in Europa“. Aber dieser Satz war ja auch nicht für die deutsche Medienpolitik bestimmt.